Dienstag, 27. Januar 2015

Der Goldgräber im Katzenklo - ein Märchen




Eines frühen Morgens, es war noch keine vier Uhr, bebte der Boden unter seinem Bett so heftig, dass er trotz seines hohen Alters die dürren Beine mit einem Ruck über die Bettkante warf. Es war keine Zeit mehr, in die Pantoffel zu schlüpfen, oder in den alten kratzigen Morgenrock. Im Schlafanzug hetzte er zum Fenster und starrte ins Morgengrauen.

Im Garten vor seinem kleinen Haus rüttelte der Wind am trockenen Gestrüpp. Die Sonne würde bald wieder ihre sengenden Arme in den Boden stecken und dem spärlichen Gemüse den letzten Tropfen Wasser rauben.
Im Fluss war nicht mehr all zu viel vom silberblau schimmernden Nass und die Tiere versammelten sich tagtäglich an den selben tiefen Wasserlöchern. 

Das was den alten Mann seit so vielen Jahren in dieser Gegend hielt war das Gold im Fluss. Immer wieder fand er ein kleines Stückchen, wusch es mühsam aus dem Sand und unterhielt sein karges Leben und seine Leidenschaft damit.
Ein paar Jahre würde er vielleicht noch haben und was sollte er tun, als das, was er schon sein Leben lang tat und am besten konnte, nach Gold suchen. Was ihn trieb war diese Leidenschaft. Sie packte ihn jeden Morgen von Neuem und seine Geduld schien grenzenlos. Er glaubte immer noch, nach so vielen Jahren Schufterei an den einen großen Fund. Er ging einfach einer Ahnung nach, die ihn hin und wieder überkam, wenn er in der Nähe des Flusses war. Oft lauschte er dem Fließen des Wassers und der Fluss schien ihm zu erzählen, was tief in ihm verborgen lag. Er sehnte sich nicht nach Reichtum, wie es die anderen Goldgräber taten, er glaubte einfach daran, dass im Gold ein Geheimnis verborgen war und er eines Tages diesem Geheimnis auf die Spur kommen würde. 

Der Alte war schon immer etwas sonderbar, doch was er diesen Morgen am Fluss erspähte, lies ihn an seinem Verstand endgültig zweifeln. Ein Tier, so groß, wie ein Haus, auf vier Beinen, erhaben und stolz dreinblickend erhob es sein Haupt und blickte weit über die Landschaft. Es spitzte die Ohren und für einen Augenblick glaubte der alte Goldgräber es würde zu ihm rüber sehen.
Der Alte rannte barfuß über den staubigen Boden, der fallende Stuhl kümmerte ihn nicht und er riss in einem Ruck die Haustüre auf. Wie versteinert stand er nun vor seinem kleinen Haus und starrte auf dieses Tier, welches sich im dämmrigen Morgenlicht anmutig bewegte. Einer schlanken Katze glich es mit einem langen Schwanz und glänzendem Fell. Es neigte seinen Kopf zum Wasser hinab und begann zu trinken. Es dauerte nicht lange und der Fluss leerte sich.

Besorgt verfolgte der Alte das Spektakel und sah all seine Hoffnung und Zukunft samt dem Wasser in der Katze verschwinden. Das Tier hatte seinen Durst gelöscht, der Fluss war ausgetrocknet und die Augen des seltsamen Wesens schienen den Alten nun wirklich zu durchbohren. „Durch deinen Schmerz wirst du dein Glück finden!“ hörte man die Worte des Tieres über das Land zu dem Alten Goldgräber hinübergrollen. Dann begann die Katze ihre Farbe zu verändern, das braune Fell begann zu glänzen, wurde zu Gold und erleuchtete den Tag heller, als die Morgensonne es jemals hätte tun können. Sie hatte alles Gold aus dem Fluss geholt und in sich gesammelt. Der alte Mann fiel auf seine blanken Knie und weinte. Das Gesicht in den Händen vergraben versuchte er dem grellen Schein des Lichtes zu entkommen. Als er wieder aufzuschauen wagte, sah er, wie das große Tier ins Land zog und am Horizont verschwand.

Traurig und nachdenklich ging er in sein Haus zurück. Er aß sein letztes Stück Brot, trank die Milch seiner Ziege, füllte den Rest in eine Flasche und zog sich seine Kleider an. Den Rucksack auf dem Rücken ging er in den Garten und ließ die Ziege frei, pfiff dem Hund, der sich daraufhin mühsam erhob, sein staubiges Fell schüttelte und seinem Herrn folgte.
Nur den Spaten nahm der Alte Mann mit sich und folgte damit einer Stimme in sich, die ihm flüsterte, was er zu tun habe.
Mit seinem Hund ging er in den Tag hinein, der Sonne entgegen, die erbarmungslos vom Himmel regnete. Sie folgten der Spur der großen Katze, denn nur sie konnte der Sinn für seine Reise sein von der er nicht wusste, wohin sie ihn führen würde.
Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um all die Tage, die er am Fluss verbracht hatte, die kleinen leuchtenden Goldstückchen, die er bergen konnte und die gerade so reichten um ihm am Leben zu erhalten. Wieder und wieder trat ihm die Frage, ob sich denn all die Mühe gelohnt habe in die immer leere Magengrube. Das schmale Gesicht des Alten war gegerbt von der Sonne, jede Falte zeigte die Art, wie er ins Leben sah und hätte er einen Spiegel gehabt, hätte er sehen können, wie schön dieser Anblick war, aber er hatte keinen. 

Drei Tage war er mit seinem Hund gegangen und es war längst keine Milch mehr in der Flasche, da setzte sich der Alte unter einen kargen alten Baum. Dem Hund hing die Zunge aus dem Hals und seine Augen waren matt und blinzelten, als wolle er der Wirklichkeit entfliehen. Das verfilzte Fell klebte an den Knochen, das Fleisch brauchte keinen Platz mehr. Als der Alte am Morgen darauf erwachte, lag der Hund im Staub und rührte sich nicht mehr. Nun diente dem Goldgräber der Spaten um das Grab für seinen Freund zu schaufeln. 

Fünfzehn lange Jahre war das treue Tier an seiner Seite und freute sich mit ihm über jeden Fund. Nichts bleibt wie es ist, dachte der Alte und legte den Hund in das Loch im Boden. Er wusste, den Rest seines Weges wird er alleine gehen müssen, diese Mühsal konnte er nicht einmal seinem Hund zumuten und der Hund wusste es. Vor den Füßen des Mannes erhob sich ein kleiner Hügel, das letzte, was an Freundschaft erinnerte, eine Freundschaft mit einem empfindenden Wesen, das mit dem Schwanz wedelte, wenn es sich freute und dem das Wasser aus den Augen laufen konnte, wenn es traurig war. Es hatte sein Ende gefunden, das Wesentliche suchte sich seinen Weg in einen anderen Raum einer anderen Zeit.
Der Alte war noch nicht so weit, das Neue lockte ihn und gab ihm Kraft. Mit dem Spaten in der Hand trat er in den Tag. Er hatte längst die Flussbiegung hinter sich, die er sonst von seinem Haus aus am Horizont noch erblicken konnte, hier musste die Katze entlang gegangen sein. Der Boden war sandig und es wuchs kein Grashalm mehr. Allmählich machte sich ein eigenartiger Geruch bemerkbar und der Alte wusste, dass er diesem folgen sollte.

Plötzlich bemerkte er eine künstliche Anhäufung von Sand. All zu lange kann dieser Haufen nicht dort gelegen haben, denn er war noch feucht. Hier muss ein großes Tier gegraben haben. Er nahm seinen Rucksack ab, der Wind kühlte augenblicklich seinen nass verschwitzten Rücken.
Dann begann er, mit dem Spaten die Anhäufung aufzugraben, der beißende Geruch wurde immer stärker, er grub tiefer und tiefer. Plötzlich stieß er auf etwas Festes. Die Sonne brannte auf die dünne Haut seiner Schultern und färbte sie rot. Der Rücken schmerzte bei jedem Spatenstich und das alte Herz hämmerte erbarmungslos hinter den Rippen. Jeder seiner Atemzüge glich dem Hieb eines Messers in der Brust und das Blut wurde dicker und dicker, wie die Finger seiner Hände, die fast zu platzen drohten.
„Was suchst du hier!?“ rief die sonst so sanfte Stimme in seinem Inneren, oder war es eine andere?
Der Alte hielt inne, holte mühsam Luft und lächelte. Die Stimme hatte recht, er wusste nicht einmal, wonach er suchte, sondern grub, getrieben von einer Vorstellung, einer Ahnung, einer Vision für die ihn jeder vernünftig Denkende schallend auslachen würde.

Er sah vor sich auf den Boden, und stellte fest, er gräbt die Exkremente einer Riesenkatze aus dem Sand. „Ein Goldgräber im Katzenklo!“ keuchte der Alte aus dem trockenen Hals und lachte fast ein wenig höhnisch über sich selbst. Sogar sein Hund hatte sich rechtzeitig von ihm abgewandt und aus dem Staub gemacht.
„Das kann man keinem erklären“, murmelte er vor sich hin, wischte sich den Schweiß von der Stirn und grub weiter. Und wieder fühlte er unter dem Spaten etwas Festes, hackte einige Male darauf herum und es splitterten kleine Teilchen von einem harten Stück Katzenkot. Der aufsteigende Gestank zog brennend durch die knorpeligen Nasenflügel des alten Mannes und selbst die dichte Behaarung konnte ihn nicht aufhalten. 

Welch ein Leid hatte der Alte schon auf sich genommen in den Jahren seiner Goldsuche. Als kleiner Junge schon musste er mit seinem Vater gehen und mühsam das Gold aus dem Sand waschen und wie oft fühlte er den harten Knüppel auf dem Rücken, wenn er etwas von dem feinen gelben Staub verloren hatte. Er träumte von einer Welt, die sein Vater nicht zu kennen schien und in der Schule haben sie ihn ausgelacht, getreten und angespuckt.  Später hatte er  Frau und Kinder verloren in einer Dürrezeit, ist des Nachts in seinem Bett überfallen und halb totgeschlagen worden. Seine Hoffnungslosigkeit, die wie eine heimtückische Krankheit an seinem Herzen klebte hatte er eines Tages überwunden, seine Wunden waren alle abgeheilt, die Narben so geschmeidig, dass er sich immer noch bewegen konnte, jetzt würde er auch diesen Tag überstehen und den Stein, den ihm dieses riesige Tier hinterlassen hat bewältigen. Aber warum musste es ausgerechnet dieser Stein sein, der so erbärmlich stank? Was trieb ihn dazu, zu glauben, in ihm sei das Geheimnis verborgen, das es zu befreien galt? Sein Leben lang hatte er auf diese Stimme vertraut, die ihm immer wieder flüsterte, was als nächstes er zu tun habe, welchen Weg er einzuschlagen hat. Er hatte niemals den Reichtum erlangt, den andere errungen hatten, hatte sich nie rechtzeitig in Sicherheit gebracht, wenn andere längst in ihren Verstecken verschwunden waren. Wie ein tapferer Krieger stand er auf der Steinwüste und lies sich die empfindsame Haut seiner Seele verbrennen, während er anderen eine Brücke war über den reißenden Fluss des Schicksals. Warum nur hat er das getan? Was ist ihm geblieben, nach all dem? Arm und abgemagert wie sein alter Hund stand er nun hier in der sengenden Hitze, die Zunge aus dem Halse hängend und setzte seine letzte Hoffnung auf ein Stück Katzendreck. Er musste von allen guten Geistern verlassen sein. Und mit dieser Erkenntnis setzte er noch einmal zu einem harten Schlag an und der steinige stinkende Klumpen fiel entzwei.

Der Sand um ihn schien zu vibrieren, als würde Klang durch die Erde fahren und Muster in den Boden zeichnen. Der Spaten fiel aus der knochigen Hand und begrub sich im Staub. Schon immer war er leicht, der kleine alte Mann, der nichts als Haut und Knochen war, doch nun fühlte er die Schwerkraft nicht mehr, Sand und Boden verschwammen unter ihm, als stünde er auf Wasser. Seine müden braunen Augen füllten sich mit Leben beim Anblick dessen, was sich hier vor seinen Augen offenbarte. Die sonst so harten Schläge seines Herzens schwollen an, als würden Götter Pauken schlagen. Er sank auf die Knie und breitete die Arme aus. Vor ihm strahlte das schönste und blankeste Gold der Welt, es musste alles sein, was je in diesem Fluss gelegen hatte und das noch keiner hatte finden können. Zwei große Scheiben, erhaben glänzend wie Kristallglas blinkten ihn an. Der Alte traute seinen Augen nicht, als er sein Abbild darin sah. Viele Jahrzehnte hatte er in keinen Spiegel mehr geschaut. Alt ist er geworden, ja, sehr alt und die wenigen Haare auf seinem Kopf waren schneeweiß. Doch sein Lächeln war verklärt und zeugte von einer Welt, die vollkommener nicht hätte sein können. In seinen Augen schimmerte ein goldenes Licht, so rein, so klar und voller Liebe, dass es mit nichts zu vergleichen war. „Das bin ich“ hauchte er andächtig aus und in diesem Augenblick sah er in der anderen Hälfte des Spiegels viele Gesichter von all den Wesen und Kreaturen, die sein Leben gekreuzt oder begleitet hatten. 

Da war sein Vater und der alte Mann erschrak,  er sah seine Frau und die Kinder, den Freund seiner Kindertage, die alte Tante mit dem Bonbonglas, die kantige wortkarge Lehrerin, seine Kumpels aus der Goldgrube, seine Schafe und die Ziegen, der Hund und viele viele andere, die ihm mehr oder weniger nahe standen. Doch da waren auch die Gesichter seiner Feinde, der Diebe, die ihn bestahlen und schlugen, all die Menschen, die ihn gequält und tyrannisiert hatten, erst sah er sie lachen, dann jedoch senkten sich ihre Häupter und sie vergossen bittere Tränen und er erkannte all ihren Schmerz, der sie zu Kreaturen der Angst werden ließ. Er fühlte seine eigene Angst, den eigenen Schmerz und in diesem Schmerz sah er, wie sich die Bilder der zwei Spiegelhälften zu einem vereinten, wie die Gesichter all der anderen mit seinem eigenen verschmolzen. Was er nun erblickte erfüllte sein erschüttertes Herz  mit all dem, was er sich je ersehnt hatte, es war das vollkommene Gesicht der Welt, das Gesicht des Lebens, was in seinem schimmernden Glanz zum Antlitz eines Gottwesens heranwuchs. „Das also sind wir“ flüsterte der Alte mit zitternder Stimme und hauchte den letzten seiner Atemzüge aus, während das Herz in seinem Tanz ehrfurchtsvoll verstummte. Der Sterbende sank in sein Grab und bedeckte das Gold mit seinem Körper. Schwere Wolken verdunkelten den Himmel und ließen es nach vielen Jahren wieder regnen. Dicke Wassertropfen prasselten auf den heiligen Ort, so lange, bis der Sand das Geschehen bedeckt hatte und darauf ein Baum zu wachsen begann. 

Der Fluss führte wieder Wasser und tränkte die Tiere und das Land, das die Menschen um ihn herum bestellten. Und wieder waren Goldgräber an seinen Ufern und suchten nach kleinen leuchtenden Steinchen.
An einer Stelle nahe des Flusses stand ein großer alter Baum in dessen Schatten sich oft eine Katze zum Schlafen legte. Hin und wieder blickte sie auf und betrachtete einen mageren alten Goldgräber.

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