Das
neuste Bild an dem ich arbeite ist anders als seine Vorgänger, daher die Idee, mit einem
Tagebuch zu beginnen. Dann war da noch etwas, das mich auf den Gedanken
brachte, alles, was ich während des Malens denke, festzuhalten. Zurzeit lese
ich ein Buch, zusammengesetzt aus lauter Kurzgeschichten. Geschrieben hat es
eine Malerin, die sich entschloss, ihrer künstlerischen Laufbahn wegen, für drei
Jahre nach New York zu reisen, um dort zu leben und zu arbeiten.
Ihre
Geschichten beeindrucken mich insofern, dass sie lebendig mitten aus dem Leben
der Amerikaner berichten. Am meisten jedoch fesselte mich eine Beschreibung der
malerischen Arbeit der Autorin und ihrer Gedanken dabei. Was fühlt sie, wenn
sie ein neues Werk beginnt, was erwartet sie selbst von sich und wie reagiert
sie auf Schwierigkeiten, oder das etwaige Resultat? All das sind für mich
brennende Fragen, deren Antworten mich in ihren Bann ziehen. Endlich bin ich
nicht mehr allein mit meinen Gedanken, sind die Atelierwände etwas
durchlässiger als sonst.
Ich
lese, folge der Schreiberin in ihre Welt, geistere durch ihr Atelier und leide
mit ihr, wenn sie sagt: „es will nicht klappen, die Farben passen nicht
zueinander, das Bild wird nie fertig, und es wird nicht das sein, was ich
erwartet hatte, nein, es wird nicht mal jemand ansehen, weil es wie all die
anderen irgendwo im Schrank verstauben wird.“ Ja, genau so ist es, mit den selben
Gedanken stehe ich oft vor einem Bild und bin der Verzweiflung nahe, weil ich
es ernst nehme, weil es wichtig ist für mich, ob es funktioniert oder nicht, ob
es das wiedergeben wird, was ich gerade denke und fühle.
Ich
habe doch ein bestimmtes Bild im Kopf und es will raus, aber es zeigt sich
nicht. Ich stehe da wie vor einer Nebelwand und warte und warte immer wieder
mehr oder weniger geduldig, ob sich die Nebel nun endlich lichten oder nicht.
Aber sie tun es nicht, ich schreie innerlich in sie hinein, in der Hoffnung,
dass sie sich endlich rühren mögen, mir das freigeben, worauf ich seit Tagen
warte und ich nehme den Pinsel und stupfe ihn suchend durch die bereits
antrocknende Ölfarbe, was mich wiederum ärgert, weil ich genau weiß, dass
wieder viel zu viel Zeit verstrichen ist, zwischen dem letzten Malakt und
diesem Augenblick hier.
Ich
suche und rühre damit die Farben zusammen, von denen ich fühle, sie jetzt auf
meiner Leinwand sehen zu wollen und starre innerlich wieder auf dieses Bild,
versuche krampfhaft seinen Linien zu folgen, die immer wieder vor meinem
unbarmherzigen Jägertum die Flucht ergreifen. Krampfhaft, ja, dieses Wort, ich
kann es hören, tief in mir, und es hinterlässt einen laut klingenden Schall im
Kopf und schreit mir zu: „Das ist falsch!“ Ok, nicht verkrampfen, locker
bleiben, du kannst ein Bild nicht krampfhaft finden oder in dir zur Schau
stellen, wie einen Clown im Zirkus. Es ist etwas Heiliges, das sich hier zeigen
will.
Also,
lege ich den Pinsel beiseite, gehe die gewohnten fünf Schritte von der
Staffelei rückwärts durch den Raum, in der Gewissheit, dass sämtliche
Möbelstücke und Mülleimer aus der Bahn geräumt sind und stolpere doch wieder
über meine Pantoffel. „Scheiße!“, fluche ich lautstark in mich hinein, verpasse
dem einen Schuh einen gehörigen Tritt und weiß genau, dass ich ihn in ein paar
Stunden KRAMPFHAFT suchen werde! Egal, es spielt keine Rolle, nicht jetzt,
jetzt will ich still auf meinem Podest sitzen, vor meiner Frankfurter Skyline und
der ausladenden Terrasse mit dem schönen Fernblick, die ich mir vor Jahren an
die Wand gepinselt hatte und die alle Ruhe der Welt verspricht. Hier sitze ich
nun und betrachte das angefangene Werk, die Farben in allen möglichen Tönen,
die mir zur Verfügung standen, und die ich während einer experimentellen
Beschallung einiger kreativer Jazzmusiker aus dem fernen Norden, auf die Leinwand
warf und großzügig in ekstatischem Zustand verteilte.
Dies
war nun das Resultat. Nun gut, es muss einen Ausweg geben. Ich sitze, ruhig, nippe an meinem feinen,
säurearmen Weisherbst, mit der fruchtigen Note und schenke ihm einen Augenblick
tiefste Beachtung. Doch mein Blick klebt an der Leinwand, an dem hellen großen
Fleck in der Mitte, der mich nach draußen lockt. Draußen, wo ist das, es ist
irgendwo weit hinter dem Bild, dort wo dieses Licht herzukommen scheint. Es
zieht mich in seinen Bann, wie immer und immer wieder male ich dann das
Gleiche, man geht von vorne ins Bild, durch eine eigenartige Landschaft
hindurch, um dort hinten durch diese Öffnung wieder aus dem Bild zu
verschwinden. Ich will aber nicht verschwinden, diesmal nicht, ich will drin bleiben
im Motiv, damit es endlich so geschaffen werden kann, wie ich es in mir habe.
Aber,
ich sehe es immer noch nicht, also, halte ich still, grenze die Wahrnehmung ein
und konzentriere den Fokus auf die Linien in meinem Kopf, der Nebel beginnt
sich allmählich zu lichten, klarere Formen zeigen sich und bevor ich erkennen
kann, was es am Ende sein soll, zieht mich eine Energie wieder weg von meinem
Podest, nimmt mir den Weisherbst aus der Hand und stellt ihn auf den Tisch
neben mir, setzt meine Füße einen vor den anderen, so lange, bis ich wieder vor
der Staffelei stehe, diesmal ohne zu stolpern und blind greife ich nach dem
Pinsel, der noch im Glas mit dem Verdünner steht und stupfe ihn wieder in die
Farbe und ziehe die Linien nach, die ich soeben noch so klar gesehen habe. Nun
muss ich sie im Blick behalten, nicht mehr verlieren oder vergessen, ich forme
nach, was ich in mir sehe und male es ab. Ich drücke mit den dunklen
Brauntönen, Umbra gebrannt, eine meiner Lieblingsfarben, die stets das Resultat
viel zu dunkler Bilder nach sich ziehen, die Fläche vor mir in die hintersten
Ecken des Bildes, so dass ich tiefe Höhlen schaffe, durch die ich sogleich
entschwinde. Erst als sie so tief hinunterführen, dass es gefährlich wird, sich
ihnen zu nähern, krieche ich wieder hervor und wasche meine Borste aus, um sie
mit den hellen, cremigen Tönen zu bestücken.
So
erhebe ich das Umland der Höhle zu einer stufigen Hügellandschaft,
treppenförmig gebe ich dem Blick die Chance, herauszuklettern und sich draußen
auf der Ebene wieder auszutoben, ziehe Brücken über tiefe Täler und gebe
Freiraum. Doch jetzt ist Schluss, ich will etwas „Reales“ sehen, das, was
allgemein bekannt und auch meinem Gehirn in der Regel etwas vertrauter
erscheint. Mitten in meine abstrakten Farbkonstruktionen stelle ich eine
rosafarbene, schwer übergewichtige Blondine, deren Haar bis weit über die Füße
reicht um dann endgültig im vorderen Teil des Motivs in einem See zu
verschwimmen. Ihr roter Mund leuchtet
noch viel zu aufdringlich durchs Bild, doch er kann warten.
Plötzlich
klingelt das Telefon und mein Blick muss panisch anmuten, als er den Raum nach
dem schrillenden Hörer abtastet. Immer noch im Rausch der eigenen Kreationen
versuche ich dem aufkommenden Privatgespräch zu folgen, was schwer gelingen
mag. Meine gesamte Energie ist gefesselt an den schöpferischen Akt, dem ich
mich über Stunden ergeben hatte und ich beschließe, während des Gespräches
weiter zu malen, und siehe da, ich telefoniere noch ungefähr eine geschlagene
Stunde. In dieser Zeit verbünden sich Worte und Gedanken mit inneren Bildern
und meiner ausführenden Hand. Ich beginne seltsam abstrakte Formen zu kreieren
und gebe ihnen eine lebhaft Tiefe. Was ich danach vor mir sehe ist das Abbild
eines Telefongespräches, so als sei ich ein Seismograph, der ein Erdbeben
aufgezeichnet hat. In dieser Stunde dachte ich nicht ein einziges Mal darüber
nach, was ich wie und wohin platzieren sollte, nein, ich folgte schlichtweg
einem inneren Impuls, stellte nicht infrage, zweifelte nicht, da ich mit Hören
und Sprechen beschäftigt war, was durchaus gelang. Es war ein sehr
inspirierendes Gespräch mit meiner Mutter, in dem wir innerhalb von sechzig
Minuten das komplette Weltgeschehen samt der Schöpfungsgeschichte aus den
Angeln hoben.
Ich
betrachte nun diesen Ausschnitt des Bildes, jene Formen, die während unseres
Gespräches entstanden waren, und stelle wieder einmal fest, alles, das
existiert hat eine analoge Ebene, dieses, „ich kann es auch anders ausdrücken“,
diese Metapher die ich so gerne nutze, um etwas verständlich zu machen. Ich
schaue auf die Formen und Farben dieses Bildteils und sehe gleichzeitig das
Gespräch zwischen meiner Mutter und mir. Voller Bewunderung und Begeisterung
erkenne ich, dass ich intensiver und freier malen kann, ja sogar inhaltvoller,
wenn ich während des Malens jemandem oder etwas zuhöre. So verarbeite ich das Gehörte
sofort im Bild. Ich denke auch sonst in Bildern, Worte sind nur Hüllen, mit Bildern gefüllt, die sich zu deren
Verständlichmachung vor mir entleeren. Warum sollte ich noch in meinen Nebeln
wühlen und hoffen und warten, dass sich etwas lichtet, hinter dem doch nur das
verborgen liegt, was ich selbst erst durch einen bestimmten Einfluss erschaffen
muss.
Ich
könnte mich mitten auf den Domplatz stellen und malen, ich würde den
augenblicklichen Zustand des Platzes porträtieren, ohne einen einzigen Menschen
oder gar den Dom malen zu müssen. Auf diese Weise kann ich auch einen Menschen
und seine Persönlichkeitsstruktur wahr nehmen, ich befinde mich in seiner Nähe,
höre ihm zu, betrachte ihn eine Zeit lang, beobachte seinen Gang, seine
Haltung, seinen Blick, die Ausstrahlung seiner Haut und den Klang seiner Stimme
und ich male, alles, aber keinen Menschen, denn innen sehen wir anders aus als
außen, ebenso haben wir außerhalb unseres Körpers ein Aussehen, ich nehme es
wahr und male es.
Ich
kann zurzeit kein Motiv suchen, das ist mir jetzt endgültig bewusst geworden. Es
gibt im Moment keine Motivwahl für mich, es gibt nur diese Übersetzung, ich
übersetze, transformiere das Erlebte in meine Art der Wahrnehmung und
Wiedergabe des Erlebten.
Vielleicht
habe ich damit einigen Kollegen ein wenig aus der Seele geredet.
oh, wie ich das nachvollziehen kann. wirklich gut geschrieben finde ich.
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