Mittwoch, 8. Oktober 2014

Der große Durchbruch




Es gab eine Zeit in meinem Leben, da schien es keinen Ausweg aus meiner  Situation zu geben. Ich hatte mich im Laufe der Jahre in eine Lage hineinmanövriert, dir es mir unmöglich machte meinen Weg weiter zu gehen. Ich war materiell und emotional in einer solchen Abhängigkeit, dass ich glaubte, für mich gäbe es keine Alternativen mehr. Was ich hatte, habe ich weder gewollt, noch hätte ich es weiterhin ertragen. Ich wurde meinem inneren Wesen schon lange nicht mehr gerecht und hatte längst das Bild von mir vergessen, welches lange in meinem Herzen überlebt hatte.
Der Mensch, mit dem ich mein Leben teilte, bot mir alles, damit ich ein zufriedenes und abgesichertes Leben hätte führen können.
Ich werde seine Worte nie vergessen, die in regelmäßigen Abständen immer wieder auf mich trafen und vorübergehend meine Ängste beruhigten. „Kümmere dich um deine Kunst, du kannst was draus machen, du hast hier alle Möglichkeiten.“ Ja, die hatte ich, aber ich hatte mich nicht, ich war mir selbst fremd geworden, ich lebte Jahre lang eine Lüge und die fraß mir Körper und Seele auf.

Irgendwann war die Situation so unerträglich geworden, dass ich das Gefühl hatte, vor einer undurchdringlichen Wand zu stehen, es gab keinen Weg dran vorbei, keinen hindurch und keinen drüber hinweg. Alternativlos – das machte mir eine entsetzliche Angst. Alle Wege, die möglich gewesen wären, machten mir Angst. Ich hatte Angst zu versagen, alles zu verlieren, Angst, die falsche Entscheidung zu treffen und daran zu zerbrechen. Ich hatte nicht mehr viel Kraft, hatte alles verbraucht, ich hing am Tropf.
Damals war es ein weit entfernter Freund, dessen Worte mir Mut machten, mich wieder an mich selbst zu erinnern, mir Hoffnung gaben und eine Ahnung dessen, was sein könnte, wenn ich nur den Mut aufbrächte, etwas zu verändern.

Ich wusste genau, das, was ich gewohnt war zu leben, musste ich loslassen, alles würde ich loslassen müssen, meine Heimat, einen Menschen, mit dem ich über zwanzig Jahre meines Lebens verbracht hatte und den Gedanken, meine künstlerische Arbeit auf Vordermann bringen zu können und irgendwann damit ein Einkommen zu erzielen. Alles habe ich aufgegeben und mich vorbereitet auf eine völlige Veränderung.
Das erste, was ich ändern musste war die Vorstellung davon, wie die Dinge um mich zu sein hätten, meine Vorstellung von mir selbst, meiner Arbeit und meinem Tagesablauf.

Ich war seit Jahren gesundheitlich angeschlagen und war davon überzeugt, kaum noch einer regelmäßigen Arbeit nachgehen zu können, ich war überzeugt, in Armut leben und irgendeinem unangenehmen Fabrikjob nachgehen zu müssen und keine Zeit und Freiräume mehr für mich und meine künstlerische Arbeit zu haben. Ich sah mich im Alter in Armut und Einsamkein dahinvegetieren. All diese Überzeugungen hinderten mich daran, eine Entscheidung zu treffen. Ich war mir sicher, einen solchen Wandel nicht ertragen zu können, er kam einem abgrundtiefen Scheitern gleich und so war mir innerlich und äußerlich anzusehen – mein Leben war an die Wand gefahren. Ich sah mich als Gescheiterte am Leben, an allem, was ich je angefangen hatte. All das, was ich glaubte, war das Schwert, mit dem ich zu meiner eigenen Hinrichtung schritt.

Dann kam der Zeitpunkt, an dem ich einfach aufstand, es hatte sich über mehrere Tage angebahnt, ich fühlte es in mir und es war, als hätte ich all das gar nicht selbst gesteuert, ES hatte sich in Gang gesetzt und ich gab mich dem hin, eine andere Wahl hatte ich nicht. Das Ganze glich einem Geburtsvorgang und auf die Wehen, die kommen hat man kaum Einfluss.

Ich traf die ersten Entscheidungen, die mich von Station A zu Station B brachten, weiter war ich nicht in der Lage zu denken. Ich sah immer nur den nächsten Schritt vor Augen, alles Weitere hatte mich nicht zu interessieren, denn ich hatte keinen Einfluss mehr darauf, das spürte ich deutlich. Plötzlich tat ich Dinge, mit denen keiner gerechnet hatte, selbst ich nicht. Ich durchbrach die Mauer mit einem Schritt und dem nächsten und wieder dem nächsten und ich achtete nicht auf das, was danach kommen könnte oder ob meine Schritte zusammen einen Sinn ergeben. Ich spürte, ich hatte etwas in mir, das einem inneren Navigationssystem glich, wie ein Zeiger, der in eine Richtung zeigte und ich musste folgen und ich folgte, Schritt für Schritt. Bei jedem Schritt wurde mir übel vor Angst aber ich tat ihn trotzdem und danach veränderte sich jedes Mal die Situation und es gab wieder einen neuen Punkt, auf den ich meinen Fuß setzen konnte. Auf diese Weise habe ich es scheinbar dem Schicksal ermöglicht, sich auf mich zu zu bewegen, mir Dinge entgegen zu bringen, mit denen ich etwas anfangen konnte. Mit vielem hätte ich vorher nie gerechnet. Dies setzte allerdings die Bereitschaft voraus, von meinen alten Vorstellungen loszulassen.
Materiell war ich es bereits gewohnt, mich mit einer gewissen Qualität zu umgeben, ich war es gewohnt, spät ins Bett zu gehen und länger als nötig zu schlafen, regelmäßig zu kochen und zu essen und alles im Kühlschrank zu haben, was man braucht. Im Winter war es warm und ich konnte duschen, so oft und so lange ich wollte. Ich hatte nie darüber nachgedacht, es war selbstverständlich. Auf einen Schlag löste sich all das auf, was mir vorher Sicherheit bot.
Innerhalb von drei Wochen änderte sich mein gesamtes Leben. Es tauchten unerwartete Angebote auf, die es mir ermöglichten, ein Leben zu führen, das einerseits bescheiden ist, mir aber dennoch alles bietet, was ich brauche. Ich habe mir einen Freiraum geschaffen, in dem ich nach meiner Art und Weise agieren kann.
Ich habe neue Menschen kennen gelernt, die meine Fähigkeiten erkannt haben und gerne in Anspruch nehmen und ich gebe gerne weiter, was ich geben kann. Allein diese Bereitschaft öffnet mir immer wieder neue Tore.

Mein Gedanke, vom Wohlwollen eines einzelnen Menschen abhängig zu sein, hat sich völlig aufgelöst. Mir ist bewusst, dass ich einige Risiken eingehen musste, um meinen Weg zu gehen. Eine einzelne Person ohne gelernten Beruf, ganz auf sich gestellt, geht in dieser Gesellschaft immer ein wenig auf Glatteis. Aber das nehme ich in Kauf, für meine Freiheit, die ich mir erhalten will. Auch die heutige Form meines Lebens wird sich wieder verändern, nichts bleibt wie es ist und das ist gut so, denn nur die Tatsache, dass alles was ist auch irgendwann vergeht, gibt mir die Gewissheit, dass auch mein Leben veränderbar ist und ich immer wieder neue Chancen haben werde.
Ich verlasse mich auf eine Kraft, die scheinbar mehr über mich und mein Leben weiß als ich selbst. Immer wieder, wenn ich nicht mehr weiter wusste, schaltete sich diese Kraft spürbar ein.

Ich kenne die Angst, den Schmerz der Einsamkeit, zehrendes Heimweh, das fade Empfinden, geschmackloser Sinnlosigkeit, das Abrutschen in eine geißelnde Gedankenstarre. Tagtäglich verlief ich mich in meinem eigenen Labyrinth. Aber, ich habe gelernt aufzustehen, mich zu lenken, ich habe den Weg aus dem Labyrinth auswendig gelernt und es hat sich gelohnt.
Hier ging es nicht um eine gescheiterte Beziehung, denn die hat all das überlebt, weil sie sich durch diesen Schritt entwickelt hat. Eine Beziehung kann auf so viele verschiedene Arten gelebt werden, auch hier musste ich von alten Mustern loslassen.  Es ging um mich und um all das, was ich in meinem Leben nie gelebt habe und das war verdammt viel. Ich bin die meiste Zeit an mir vorbei gelaufen, ich war nie ganz, immer nur ein Teil meiner selbst.
Seit über fünfzig Jahren habe ich das erste Mal das Gefühl, ein ganzer Mensch zu sein, der in der Lage ist, für sich selbst Verantwortung zu tragen.
Trotz all der Ecken und Kanten meines Daseins, ich lebe, was ich bin und vielleicht bin ich auch ein wenig stolz darauf, dass ich es geschafft habe, aber im Grunde meines Herzens bin ich unendlich dankbar, und zwar genau dieser wunderbaren Kraft, die mich lenkte, als ich in tiefster Not und Verzweiflung war.



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