Es gab eine Zeit in meinem Leben, da schien es keinen Ausweg
aus meiner Situation zu geben. Ich hatte
mich im Laufe der Jahre in eine Lage hineinmanövriert, dir es mir unmöglich
machte meinen Weg weiter zu gehen. Ich war materiell und emotional in einer
solchen Abhängigkeit, dass ich glaubte, für mich gäbe es keine Alternativen
mehr. Was ich hatte, habe ich weder gewollt, noch hätte ich es weiterhin
ertragen. Ich wurde meinem inneren Wesen schon lange nicht mehr gerecht und
hatte längst das Bild von mir vergessen, welches lange in meinem Herzen
überlebt hatte.
Der Mensch, mit dem ich mein Leben teilte, bot mir alles,
damit ich ein zufriedenes und abgesichertes Leben hätte führen können.
Ich werde seine Worte nie vergessen, die in regelmäßigen
Abständen immer wieder auf mich trafen und vorübergehend meine Ängste
beruhigten. „Kümmere dich um deine Kunst, du kannst was draus machen, du hast
hier alle Möglichkeiten.“ Ja, die hatte ich, aber ich hatte mich nicht, ich war
mir selbst fremd geworden, ich lebte Jahre lang eine Lüge und die fraß mir
Körper und Seele auf.
Irgendwann war die Situation so unerträglich geworden, dass
ich das Gefühl hatte, vor einer undurchdringlichen Wand zu stehen, es gab
keinen Weg dran vorbei, keinen hindurch und keinen drüber hinweg. Alternativlos
– das machte mir eine entsetzliche Angst. Alle Wege, die möglich gewesen wären,
machten mir Angst. Ich hatte Angst zu versagen, alles zu verlieren, Angst, die
falsche Entscheidung zu treffen und daran zu zerbrechen. Ich hatte nicht mehr
viel Kraft, hatte alles verbraucht, ich hing am Tropf.
Damals war es ein weit entfernter Freund, dessen Worte mir
Mut machten, mich wieder an mich selbst zu erinnern, mir Hoffnung gaben und
eine Ahnung dessen, was sein könnte, wenn ich nur den Mut aufbrächte, etwas zu
verändern.
Ich wusste genau, das, was ich gewohnt war zu leben, musste
ich loslassen, alles würde ich loslassen müssen, meine Heimat, einen Menschen,
mit dem ich über zwanzig Jahre meines Lebens verbracht hatte und den Gedanken,
meine künstlerische Arbeit auf Vordermann bringen zu können und irgendwann
damit ein Einkommen zu erzielen. Alles habe ich aufgegeben und mich vorbereitet
auf eine völlige Veränderung.
Das erste, was ich ändern musste war die Vorstellung davon,
wie die Dinge um mich zu sein hätten, meine Vorstellung von mir selbst, meiner
Arbeit und meinem Tagesablauf.
Ich war seit Jahren gesundheitlich angeschlagen und war davon
überzeugt, kaum noch einer regelmäßigen Arbeit nachgehen zu können, ich war
überzeugt, in Armut leben und irgendeinem unangenehmen Fabrikjob nachgehen zu
müssen und keine Zeit und Freiräume mehr für mich und meine künstlerische
Arbeit zu haben. Ich sah mich im Alter in Armut und Einsamkein dahinvegetieren.
All diese Überzeugungen hinderten mich daran, eine Entscheidung zu treffen. Ich
war mir sicher, einen solchen Wandel nicht ertragen zu können, er kam einem
abgrundtiefen Scheitern gleich und so war mir innerlich und äußerlich anzusehen
– mein Leben war an die Wand gefahren. Ich sah mich als Gescheiterte am Leben,
an allem, was ich je angefangen hatte. All das, was ich glaubte, war das
Schwert, mit dem ich zu meiner eigenen Hinrichtung schritt.
Dann kam der Zeitpunkt, an dem ich einfach aufstand, es
hatte sich über mehrere Tage angebahnt, ich fühlte es in mir und es war, als
hätte ich all das gar nicht selbst gesteuert, ES hatte sich in Gang gesetzt und
ich gab mich dem hin, eine andere Wahl hatte ich nicht. Das Ganze glich einem
Geburtsvorgang und auf die Wehen, die kommen hat man kaum Einfluss.
Ich traf die ersten Entscheidungen, die mich von Station A
zu Station B brachten, weiter war ich nicht in der Lage zu denken. Ich sah
immer nur den nächsten Schritt vor Augen, alles Weitere hatte mich nicht zu
interessieren, denn ich hatte keinen Einfluss mehr darauf, das spürte ich
deutlich. Plötzlich tat ich Dinge, mit denen keiner gerechnet hatte, selbst ich
nicht. Ich durchbrach die Mauer mit einem Schritt und dem nächsten und wieder
dem nächsten und ich achtete nicht auf das, was danach kommen könnte oder ob
meine Schritte zusammen einen Sinn ergeben. Ich spürte, ich hatte etwas in mir,
das einem inneren Navigationssystem glich, wie ein Zeiger, der in eine Richtung
zeigte und ich musste folgen und ich folgte, Schritt für Schritt. Bei jedem
Schritt wurde mir übel vor Angst aber ich tat ihn trotzdem und danach
veränderte sich jedes Mal die Situation und es gab wieder einen neuen Punkt,
auf den ich meinen Fuß setzen konnte. Auf diese Weise habe ich es scheinbar dem
Schicksal ermöglicht, sich auf mich zu zu bewegen, mir Dinge entgegen zu
bringen, mit denen ich etwas anfangen konnte. Mit vielem hätte ich vorher nie
gerechnet. Dies setzte allerdings die Bereitschaft voraus, von meinen alten
Vorstellungen loszulassen.
Materiell war ich es bereits gewohnt, mich mit einer
gewissen Qualität zu umgeben, ich war es gewohnt, spät ins Bett zu gehen und
länger als nötig zu schlafen, regelmäßig zu kochen und zu essen und alles im
Kühlschrank zu haben, was man braucht. Im Winter war es warm und ich konnte
duschen, so oft und so lange ich wollte. Ich hatte nie darüber nachgedacht, es
war selbstverständlich. Auf einen Schlag löste sich all das auf, was mir vorher
Sicherheit bot.
Innerhalb von drei Wochen änderte sich mein gesamtes Leben.
Es tauchten unerwartete Angebote auf, die es mir ermöglichten, ein Leben zu
führen, das einerseits bescheiden ist, mir aber dennoch alles bietet, was ich
brauche. Ich habe mir einen Freiraum geschaffen, in dem ich nach meiner Art und
Weise agieren kann.
Ich habe neue Menschen kennen gelernt, die meine Fähigkeiten
erkannt haben und gerne in Anspruch nehmen und ich gebe gerne weiter, was ich
geben kann. Allein diese Bereitschaft öffnet mir immer wieder neue Tore.
Mein Gedanke, vom Wohlwollen eines einzelnen Menschen
abhängig zu sein, hat sich völlig aufgelöst. Mir ist bewusst, dass ich einige
Risiken eingehen musste, um meinen Weg zu gehen. Eine einzelne Person ohne
gelernten Beruf, ganz auf sich gestellt, geht in dieser Gesellschaft immer ein
wenig auf Glatteis. Aber das nehme ich in Kauf, für meine Freiheit, die ich mir
erhalten will. Auch die heutige Form meines Lebens wird sich wieder verändern,
nichts bleibt wie es ist und das ist gut so, denn nur die Tatsache, dass alles
was ist auch irgendwann vergeht, gibt mir die Gewissheit, dass auch mein Leben
veränderbar ist und ich immer wieder neue Chancen haben werde.
Ich verlasse mich auf eine Kraft, die scheinbar mehr über
mich und mein Leben weiß als ich selbst. Immer wieder, wenn ich nicht mehr
weiter wusste, schaltete sich diese Kraft spürbar ein.
Ich kenne die Angst, den Schmerz der Einsamkeit, zehrendes
Heimweh, das fade Empfinden, geschmackloser Sinnlosigkeit, das Abrutschen in
eine geißelnde Gedankenstarre. Tagtäglich verlief ich mich in meinem eigenen
Labyrinth. Aber, ich habe gelernt aufzustehen, mich zu lenken, ich habe den Weg
aus dem Labyrinth auswendig gelernt und es hat sich gelohnt.
Hier ging es nicht um eine gescheiterte Beziehung, denn die
hat all das überlebt, weil sie sich durch diesen Schritt entwickelt hat. Eine
Beziehung kann auf so viele verschiedene Arten gelebt werden, auch hier musste
ich von alten Mustern loslassen. Es ging
um mich und um all das, was ich in meinem Leben nie gelebt habe und das war
verdammt viel. Ich bin die meiste Zeit an mir vorbei gelaufen, ich war nie
ganz, immer nur ein Teil meiner selbst.
Seit über fünfzig Jahren habe ich das erste Mal das Gefühl,
ein ganzer Mensch zu sein, der in der Lage ist, für sich selbst Verantwortung
zu tragen.
Trotz all der Ecken und Kanten meines Daseins, ich lebe, was
ich bin und vielleicht bin ich auch ein wenig stolz darauf, dass ich es
geschafft habe, aber im Grunde meines Herzens bin ich unendlich dankbar, und
zwar genau dieser wunderbaren Kraft, die mich lenkte, als ich in tiefster Not
und Verzweiflung war.
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