Ihre Schritte im Laub betäuben fast ihre Ohren, sie hört sie
schon seit einer Stunde und das Geräusch dominiert alles in ihr und das ist gut
so, denn Gedanken können laut sein, sehr laut.
Sie denkt an die letzten Tage und an diese Begegnung, die
wieder alles aufwühlt und alte Gedanken laut macht. Sie ringt nach Ordnung,
bringt die Schritte in einen gleich bleibenden Rhythmus, und die inneren Worte
verlangsamen sich, konzentrieren sich, komprimieren sich zu Bildern.
Zartbitter, das Wort steht groß über einem wunderschön
lachenden Gesicht und dann zieht sich dieser schwarze Vorhang vor das Lachen und
warme Augen sehen in eine abweisende
Kälte hinaus. Das Herz ist aufgewacht - tief innen.
Erinnerung, so schnell wird etwas zur Erinnerung, die man
mit sich trägt, Stunde um Stunde, Tag um Tag, bis sie verblasst oder sich
verändert, weil Gedanken in die Irre laufen.
Eine Hand, die sie berührte, ganz kurz nur und dennoch ihr
Universum für einen Augenblick zum Stehen brachte – warum? Was ist das? Fragt
sie sich immer und immer wieder.
Warum liegt einem das
Schicksal des Anderen plötzlich so am Herzen? Weil es das eigene sein könnte? Ist
man doch so egozentrisch, dass man nichts anderes im Sinn zu haben scheint, als
die eigenen Lücken mit dem Schicksal eines anderen aufzufüllen? Den eigenen
Schmerz mit dem des Anderen zu überdecken? Oder will man sich gar selbst durch
den Anderen erlebbar, fühlbar machen? Soll der Andere den fehlenden, ewig
unerfüllten Teil des eigenen Selbst ersetzen?
Und das ist längst nicht alles, seit einer Stunde liefert
sie sich sachliche Erklärungen, die Peitschenhieben gleichen, abgefeuert auf
den unschuldigen Versuch zu lieben. Selbstkasteiung nennt sie das, eine immer
wieder kehrende Bestrafung für den uralten Versuch, zu lieben und Liebe zu
bekommen, die einem einst verwehrt geblieben war.
Ja, wie kann man nur so dumm sein und an die Liebe glauben
wollen?
Sie weiß nicht, was Liebe ist, sagt sie immer wieder aber
sie weiß, dass sie es weiß aber es bleibt ihr Geheimnis, denn sie fühlt tief,
immer wieder und dieses Gefühl lässt sich nicht klein kriegen. Aber warum
sollte sie sagen, was sie fühlt, denn wer fühlt ist angreifbar, ausgeliefert
und verletzbar, gerät in Abhängigkeiten, macht sich am Ende zum Opfer. Und die Liebe ist unzuverlässig. Als sie
das letzte mal von Liebe sprach verblieb nur Schmerz und es hat lange gedauert,
bis die Wunden heilten.
Sie ist vorsichtig geworden, sehr vorsichtig, man könne
fast glauben, sie sei gleichgültig.
Ihr Verstand ist der schwere Mantel, den sie über ihr
Empfinden legt, er schützt vor der Kälte.
Doch hin und wieder dringt die Kälte ins Innere und breitet
sich aus. Das Herz droht zu erfrieren.
Sie weiß, wenn sie es jetzt nicht schafft, ihr eigenes
Empfinden anzunehmen, ganz für sich, unabhängig vom Anderen, so wie es ist, mit
allen Risiken und Nebenwirkungen, wenn sie es nicht hinaus lässt, in die
Freiheit, damit es sich bewegen kann, wird sie daran ersticken, es wird sie
vergiften von innen.
Sie verlässt den breiten Waldweg und steigt einen kleinen
Hang hinauf und setzt sich zwischen den hohen Stämmen der Tannen ins Moos. Sie
liebt diesen tiefgrünen Waldteppich und den Geruch von Pilzen und gefallenem
Laub. Die letzten Sonnenstrahlen blinzeln zwischen den schlanken Stämmen
hindurch und tauchen die Umgebung in goldenes Licht.
Allmählich gelingt es ihr, die Bewegung des Verstandes etwas
einzudämmen, die Stimmen in ihr werden leiser, ziehen sich zurück und lassen
einem Fühlen Platz, das sich in ihrer Magengrube ausbreitet und den ganzen
Körper ergreift. Sie lässt es zu. Sie hat es gelernt, sonst wäre sie eines
Tages vor die Hunde gegangen. Und doch, sie hat immer noch Angst, diese Angst,
es könnte sie jemand dabei ertappen, mit all ihren Gefühlen und ihrem
Schwachsein und in ihrer Verletzlichkeit und in ihrer uralten Furcht vor
Zurückweisung.
Liebe ist unabhängig und wandelbar, sie kommt und geht,
taucht auf und verschwindet, sie zerreißt dich in einem Augenblick, während sie
dir im nächsten tröstend die Hand auf die Schulter legt. Sie heilt, wenn du sie
lässt und sie zerstört wenn du von ihr forderst. Ja, das weiß sie alles und
gibt sich gelassen dem Schmerz hin, den dieses Wissen in ihr auslöst, bis er
langsam und leise verschwindet.
Der Verstand und all seine logischen Erklärungsversuche
können ihr gestohlen bleiben, jetzt für diesen einen Augenblick, und einen
kurzen Moment lang lacht sie in die Stille des Waldes hinein. Loslassen – sie
schließt die Augen, entzieht allem was war und ist die Bedeutung … und liebt.
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