Dienstag, 7. Oktober 2014

und es geht doch...


Ihre Schritte im Laub betäuben fast ihre Ohren, sie hört sie schon seit einer Stunde und das Geräusch dominiert alles in ihr und das ist gut so, denn Gedanken können laut sein, sehr laut.
Sie denkt an die letzten Tage und an diese Begegnung, die wieder alles aufwühlt und alte Gedanken laut macht. Sie ringt nach Ordnung, bringt die Schritte in einen gleich bleibenden Rhythmus, und die inneren Worte verlangsamen sich, konzentrieren sich, komprimieren sich zu Bildern. 
Zartbitter, das Wort steht groß über einem wunderschön lachenden Gesicht und dann zieht sich dieser schwarze Vorhang vor das Lachen und warme Augen sehen in eine abweisende  Kälte hinaus. Das Herz ist aufgewacht - tief innen.

Erinnerung, so schnell wird etwas zur Erinnerung, die man mit sich trägt, Stunde um Stunde, Tag um Tag, bis sie verblasst oder sich verändert, weil Gedanken in die Irre laufen.
Eine Hand, die sie berührte, ganz kurz nur und dennoch ihr Universum für einen Augenblick zum Stehen brachte – warum? Was ist das? Fragt sie sich immer und immer wieder.
Warum liegt einem  das Schicksal des Anderen plötzlich so am Herzen? Weil es das eigene sein könnte? Ist man doch so egozentrisch, dass man nichts anderes im Sinn zu haben scheint, als die eigenen Lücken mit dem Schicksal eines anderen aufzufüllen? Den eigenen Schmerz mit dem des Anderen zu überdecken? Oder will man sich gar selbst durch den Anderen erlebbar, fühlbar machen? Soll der Andere den fehlenden, ewig unerfüllten Teil des eigenen Selbst ersetzen?
Und das ist längst nicht alles, seit einer Stunde liefert sie sich sachliche Erklärungen, die Peitschenhieben gleichen, abgefeuert auf den unschuldigen Versuch zu lieben. Selbstkasteiung nennt sie das, eine immer wieder kehrende Bestrafung für den uralten Versuch, zu lieben und Liebe zu bekommen, die einem einst verwehrt geblieben war.
Ja, wie kann man nur so dumm sein und an die Liebe glauben wollen?

Sie weiß nicht, was Liebe ist, sagt sie immer wieder aber sie weiß, dass sie es weiß aber es bleibt ihr Geheimnis, denn sie fühlt tief, immer wieder und dieses Gefühl lässt sich nicht klein kriegen. Aber warum sollte sie sagen, was sie fühlt, denn wer fühlt ist angreifbar, ausgeliefert und verletzbar, gerät in Abhängigkeiten, macht sich am Ende zum Opfer. Und die Liebe ist unzuverlässig. Als sie das letzte mal von Liebe sprach verblieb nur Schmerz und es hat lange gedauert, bis die Wunden heilten. 

Sie ist vorsichtig geworden, sehr vorsichtig, man könne fast glauben, sie sei gleichgültig.
Ihr Verstand ist der schwere Mantel, den sie über ihr Empfinden legt, er schützt vor der Kälte.
Doch hin und wieder dringt die Kälte ins Innere und breitet sich aus. Das Herz droht zu erfrieren.
Sie weiß, wenn sie es jetzt nicht schafft, ihr eigenes Empfinden anzunehmen, ganz für sich, unabhängig vom Anderen, so wie es ist, mit allen Risiken und Nebenwirkungen, wenn sie es nicht hinaus lässt, in die Freiheit, damit es sich bewegen kann, wird sie daran ersticken, es wird sie vergiften von innen.

Sie verlässt den breiten Waldweg und steigt einen kleinen Hang hinauf und setzt sich zwischen den hohen Stämmen der Tannen ins Moos. Sie liebt diesen tiefgrünen Waldteppich und den Geruch von Pilzen und gefallenem Laub. Die letzten Sonnenstrahlen blinzeln zwischen den schlanken Stämmen hindurch und tauchen die Umgebung in goldenes Licht.
Allmählich gelingt es ihr, die Bewegung des Verstandes etwas einzudämmen, die Stimmen in ihr werden leiser, ziehen sich zurück und lassen einem Fühlen Platz, das sich in ihrer Magengrube ausbreitet und den ganzen Körper ergreift. Sie lässt es zu. Sie hat es gelernt, sonst wäre sie eines Tages vor die Hunde gegangen. Und doch, sie hat immer noch Angst, diese Angst, es könnte sie jemand dabei ertappen, mit all ihren Gefühlen und ihrem Schwachsein und in ihrer Verletzlichkeit und in ihrer uralten Furcht vor Zurückweisung.

Liebe ist unabhängig und wandelbar, sie kommt und geht, taucht auf und verschwindet, sie zerreißt dich in einem Augenblick, während sie dir im nächsten tröstend die Hand auf die Schulter legt. Sie heilt, wenn du sie lässt und sie zerstört wenn du von ihr forderst. Ja, das weiß sie alles und gibt sich gelassen dem Schmerz hin, den dieses Wissen in ihr auslöst, bis er langsam und leise verschwindet.
Der Verstand und all seine logischen Erklärungsversuche können ihr gestohlen bleiben, jetzt für diesen einen Augenblick, und einen kurzen Moment lang lacht sie in die Stille des Waldes hinein. Loslassen – sie schließt die Augen, entzieht allem was war und ist die Bedeutung … und liebt.




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