Identitätenwechsel
Wie lange hab ich nun an
diesem Bild gearbeitet. Als ich im Juni 2012 begann war mir bewusst, dass sich
das, was ich als meine Identität empfinde ändern wird, dass ich einen
altvertrauten Teil von mir verlieren werde. Ich werde loslassen müssen, mich
Neuem zuwenden, das war klar.
Was ich auf der Leinwand vor mir sichtbar gemacht
hatte, zeigte mir ein Gesicht, dessen rechtes Auge bereits fest verschlossen
war, wie zugewachsen, ebenso die Gesichtstruktur, die wie eine Maske aus einer
alten Zeit wirkt und allmählich schrumpft. Die alte Form wurde zu klein, das
Neue bricht hervor und sucht mit einem gewaltig großen und weit geöffnetem Auge
nach dem, was folgen wird.
Wo gehe ich hin? Wer werde ich sein?
Quer über das Gesicht laufen
Fragmente, Teile einzelner Erfahrungen und Erkenntnisse, die das Alte vom Neuen
trennen. Diese Fragmente fügen sich aneinander, passend, Eines zum Anderen und
ergeben gemeinsam eine erkennbare Form, bilden ein Zeitfenster der Wandlung,
einen Prozess, in dem etwas geschieht.
Dann, innerhalb weniger
Stunden geschieht etwas Unerwartetes. Während ich in tüsterer Finsternis über
jener Frage des „wer bin ich“ brüte, entspringt aus meinem tiefsten Urgrund
eine Gestalt, geladen mit neuer Energie und zum Sprung bereit. So entstand
zuallererst die kleine Erzählung: "Der Tag des Springers".
Nun musste ich nur noch die
Figur dieses Springers ins Bild einbauen, ins Blickfeld des Gesichtes rücken um
sie endgültig erkennbar werden zu lassen.
Wen oder was verkörpert der
Springer?
Die Gabe zu springen ist
gleichzusetzen mit der Fähigkeit in hoher Geschwindigkeit den Standort zu
wechseln und somit auch die Blickrichtung. Wer den Standort wechselt, sieht die
Dinge aus einer anderen Richtung. Wer mehrmals hintereinander die Blickrichtung
wechseln kann, ist in der Lage, ein Ding, eine Struktur oder ein Ereignis von möglichst so vielen Seiten zu betrachten,
dass das Bild des betrachteten Objektes wie ein Hologramm vor dem inneren Auge
erscheint. Ich befinde mich innerlich in einem 3-D Raum (die anderen
Dimensionen lasse ich vorerst weg). Auf diese Weise werde ich die Welt und ihre
Ereignisse anders wahrnehmen, als würde ich die Dinge immer von einer anderen Seite
aus betrachten. Mein Weltbild ändert sich und bietet mir vielfältigere Möglichkeiten.
Aber nicht nur die
mannigfaltige Betrachtungsweise der Welt, sondern auch die Fähigkeit,
Standpunkte dann zu wechseln, wenn die bisherigen unbrauchbar erscheinen und
zwar zum richtigen Zeitpunkt.
Wer die Geschichte „der Tag
des Springers“ gelesen hat, weis, was ich damit meine.
Es geht um die eigene
Kreativität, darum, die innere Welt zu einer Realität werden zu lassen, die ich
bewusst steuern kann, worin ich die Plätze wechseln kann, neue
Gestaltungsmöglichkeiten zulasse und meine Kräfte gezielt nutze. Ich schaffe
Raum und Grenzen, Trenn- und Verbindungslinien, Fluchtpunkte, Zielorte,
Kommunikations- und Versorgungsleitungen. Ich mache mir eine innere
Infrastruktur bewusst und baue sie nach meinen Bedürfnissen auf.
Der Springer betrachtet und
bewertet nicht nur die Welt um sich herum aus verschiedenen Richtungen, sondern auch
sich selbst. Er betrachtet bewusst die verschiedenen Facetten seines Seins und
gesteht sich die durch seine Kreativität bedingte innere Vielfältigkeit zu.
Das tiefe Nachempfinden einer
Situation oder eines Befindens (Empathie) und die gleichzeitige Fähigkeit, sich
im richtigen Moment davon wieder lösen zu können, bedingen einander.
Die Figur im Bild ist frei,
wobei Freiheit nicht mit Unabhängigkeit vom Umfeld gleichzusetzen ist, denn
dies ist einem lebenden Organismus unmöglich, sondern hier geht es um eine
uneingeschränkte Möglichkeit, sich den eigenen Standpunkt, auf dem Gedanken und
Ansichten produziert werden, selbst auszusuchen. Je mehr Möglichkeiten einem eigenständig
denkenden Individuum zur Verfügung stehen, desto weitreichender der Entscheidungsspielraum
und somit auch dessen Freiheit.
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