Herkunft unbekannt |
Der
Mond zeigte sich nur für einen kurzen Augenblick zwischen den schweren Wolken
und legte sein silbernes Licht auf meinen nassen Pelz. Der Regen hatte es durchtränkt
und die Nacht kroch mir kalt über die Haut. Meine Pfoten brannten, während ich
einsam meine Spur über den Asphalt zog. Wie immer lief ich unter der alten
Brücke hindurch um einmal mehr vor den Spraydosen zu landen, deren sich der Typ
im schwarzen Kapuzenshirt wie unter Trance bediente. Es stank erbärmlich nach
Fremdem. Doch wie immer faszinierte mich seine heimliche Freiheit, die er an
dieser schrecklich grauen Wand auslebte und mich nie zu bemerken schien.
Mühevoll
sprang ich die Stufen hinauf zur Straße, trabte um
den Gullideckel herum und suchte, wonach wusste ich noch nicht.
Mein
Hinterbein schmerzte immer noch vom letzten Revierkampf und in der letzten
Mülltonne verdarb ich mir den Magen. Meine
Jahre hier draußen waren hart und ich fühlte mich so endlos erschöpft.
Oft schlug mein Herz in einer solchen Härte, dass es mir die Rippen zu brechen
drohte.
Ich
schloss einen Moment die Augen, setzte mich um ein wenig auszuruhen und auf die
Stimmen zu lauschen, die durch die Straßen flüsterten. Heute war es still und
ich erschrak. Ein Geruch weckte mich aus meinem dösenden Zustand, und ich öffnete
ein wenig meine Augen. Er war kaum wahrzunehmen, dennoch, ich sah ihn dort
stehen, weit entfernt von mir und mitten auf der Straße. Im Scheinwerferlicht
des heranfahrenden Autos sah ich seine Silhouette und glaubte, das überlebt er
nicht, doch das Auto wich aus und er blieb einfach stehen. Er schien mich mit
seinem Blick zu fixieren und ich fixierte ihn.
Nach
einer endlos scheinenden Weile rührte er sich, trabte mit angelegten Ohren
lässig in meine Richtung, blieb jedoch ein paar Meter vor mir wieder stehen. Er
sah an eine Hauswand und tat so, als wäre ich nicht da. Ich kniff die Augen
zusammen und ignorierte ihn, doch tief in mir hielt ich ihn unter strengster
Beobachtung und ich wusste, er tut das Selbe.
Eines
war klar, sein Revier war nicht in dieser Gegend und er sah nicht besser aus
als ich. Durch die zusammengekniffenen Augenlieder musterte ich ihn, während er
das schmutzige Wasser aus seinem Pelz schüttelte. Missmutig sah er drein und
setzte sich mitten auf die Straße, so als gehöre sie ihm. Ich teilte mein Revier
mit anderen und es war gut, dass sie gerade nicht hier waren. Niemand
duldete es, dass sich ein Fremder mitten auf einem freien Platz niederlässt.
Hier gab es ohnehin nicht viel zu holen, und die Zeiten sind wahrlich
schlechter geworden. Neid und Rücksichtslosigkeit machte uns das Leben
allmählich zur Hölle und uns selbst zu giftspuckenden Kreaturen. Wer sich mir mehr als einen halben Meter
näherte, lernte mich von einer üblen Seite kennen, meine Schotten waren längst
dicht gemacht. Es herrschte Krieg auf den Straßen.
Und
in einer solchen Zeit wagte es dieser Fremde sich mitten auf diesen Asphalt zu
setzen.
Doch
irgendetwas war anders als sonst, ob es das miese Wetter war, das mich gnädig
stimmte oder war es nur Neugier, oder eher seine Frechheit, die mich
faszinierte?
Ich
stand auf, ging einige Schritte auf ihn zu, doch er rührte sich nicht. Sein
Blick ruhte still auf mir. Er wagte es, mir ins Gesicht zu sehen. Ich presste
ein leises aber bedrohliches Knurren durch die Kehle und legte die Ohren an,
doch er rührte sich immer noch nicht. Was nun geschah, jagte mir die tiefste
Erschütterung durch die Glieder, die ich seit Jahren gespürt hatte. Er stand
langsam auf, kam einen Schritt weiter auf mich zu, hatte die Grenze des halben
Meters längst druchbrochen und stellte sich neben mich, hob seinen Kopf und
stieß einen so ergreifenden Schrei in die Nacht hinein, dass er mein Herz auf
der Stelle hätte zerreißen können. Sein Anblick schnürte mir den Hals zu, auf
seiner regendurchtränkten Haut sah ich tiefe Wunden und Narben, eines seiner
Ohren war zerrissen und in seinen Augen spiegelte sich der Abgrund der Welt. Welch einen Weg
musste er gegangen sein?
In
unseren Kreisen zeigte man seine Wunden nicht, das bedeutet Gefahr. Schwäche
musste verborgen bleiben. Doch er offenbarte sich mir ohne Scheu. Dies war das
Zeichen, welches ich sofort verstand und ich drehte ihm den Rücken zu, ließ ihn
meine Wunden und Narben sehen und dann hörte ich es mit allen Fasern meines
Seins, jede Haarspitze meines Pelzes schien zu vibrieren. Sein grollendes
Schnurren brach sich den Weg durch die Finsternis und erwärmte den Raum
zwischen uns. Nun antwortete ich ihm und der Raum erwärmte sich weiter.
Doch
die offenen Wunden schmerzten und wir waren uns der Gefahr bewusst. Die Zeit
schien zu zittern und der Drang auszuholen um weitere Wunden zu schlagen stieg
allmählich aus den Tiefen alten Erlebens. Ein Kampf hätte uns getötet, doch was
kannten wir schon anderes? So zog ich mich langsam zurück. Sein heilendes
Schnurren verklang einsam im Raum und ich schwieg, ließ ihn stehen, mitten auf
der Straße, auf die er kein Recht hatte und trabte erschöpft in eine
Seitengasse.
Hinter
einer Mülltonne ließ ich mich nieder auf einem Stück trockenen Asphalt und sah
hinüber auf den Platz, auf dem er gestanden hatte.
Die
Straße war leer. Eines Tages würde er wieder kommen, vielleicht, wenn wir es
überlebten. Meine Augen brannten und ich gab dem lautlosen Weinen nach. Was
haben sie aus uns gemacht?
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