Mittwoch, 18. Dezember 2013

Straßenkatzen oder der Schmerz der Welt

Herkunft unbekannt


Der Mond zeigte sich nur für einen kurzen Augenblick zwischen den schweren Wolken und legte sein silbernes Licht auf meinen nassen Pelz. Der Regen hatte es durchtränkt und die Nacht kroch mir kalt über die Haut. Meine Pfoten brannten, während ich einsam meine Spur über den Asphalt zog. Wie immer lief ich unter der alten Brücke hindurch um einmal mehr vor den Spraydosen zu landen, deren sich der Typ im schwarzen Kapuzenshirt wie unter Trance bediente. Es stank erbärmlich nach Fremdem. Doch wie immer faszinierte mich seine heimliche Freiheit, die er an dieser schrecklich grauen Wand auslebte und mich nie zu bemerken schien.

Mühevoll sprang ich die Stufen hinauf zur Straße, trabte  um den Gullideckel herum und suchte, wonach wusste ich noch nicht.
Mein Hinterbein schmerzte immer noch vom letzten Revierkampf und in der letzten Mülltonne verdarb ich mir den Magen. Meine  Jahre hier draußen waren hart und ich fühlte mich so endlos erschöpft. Oft schlug mein Herz in einer solchen Härte, dass es mir die Rippen zu brechen drohte.

Ich schloss einen Moment die Augen, setzte mich um ein wenig auszuruhen und auf die Stimmen zu lauschen, die durch die Straßen flüsterten. Heute war es still und ich erschrak. Ein Geruch weckte mich aus meinem dösenden Zustand, und ich öffnete ein wenig meine Augen. Er war kaum wahrzunehmen, dennoch, ich sah ihn dort stehen, weit entfernt von mir und mitten auf der Straße. Im Scheinwerferlicht des heranfahrenden Autos sah ich seine Silhouette und glaubte, das überlebt er nicht, doch das Auto wich aus und er blieb einfach stehen. Er schien mich mit seinem Blick zu fixieren und ich fixierte ihn.

Nach einer endlos scheinenden Weile rührte er sich, trabte mit angelegten Ohren lässig in meine Richtung, blieb jedoch ein paar Meter vor mir wieder stehen. Er sah an eine Hauswand und tat so, als wäre ich nicht da. Ich kniff die Augen zusammen und ignorierte ihn, doch tief in mir hielt ich ihn unter strengster Beobachtung und ich wusste, er tut das Selbe.

Eines war klar, sein Revier war nicht in dieser Gegend und er sah nicht besser aus als ich. Durch die zusammengekniffenen Augenlieder musterte ich ihn, während er das schmutzige Wasser aus seinem Pelz schüttelte. Missmutig sah er drein und setzte sich mitten auf die Straße, so als gehöre sie ihm. Ich teilte mein Revier mit anderen und es war gut, dass sie gerade nicht hier waren. Niemand duldete es, dass sich ein Fremder mitten auf einem freien Platz niederlässt. Hier gab es ohnehin nicht viel zu holen, und die Zeiten sind wahrlich schlechter geworden. Neid und Rücksichtslosigkeit machte uns das Leben allmählich zur Hölle und uns selbst zu giftspuckenden Kreaturen.  Wer sich mir mehr als einen halben Meter näherte, lernte mich von einer üblen Seite kennen, meine Schotten waren längst dicht gemacht. Es herrschte Krieg auf den Straßen.
Und in einer solchen Zeit wagte es dieser Fremde sich mitten auf diesen Asphalt zu setzen.
Doch irgendetwas war anders als sonst, ob es das miese Wetter war, das mich gnädig stimmte oder war es nur Neugier, oder eher seine Frechheit, die mich faszinierte?

Ich stand auf, ging einige Schritte auf ihn zu, doch er rührte sich nicht. Sein Blick ruhte still auf mir. Er wagte es, mir ins Gesicht zu sehen. Ich presste ein leises aber bedrohliches Knurren durch die Kehle und legte die Ohren an, doch er rührte sich immer noch nicht. Was nun geschah, jagte mir die tiefste Erschütterung durch die Glieder, die ich seit Jahren gespürt hatte. Er stand langsam auf, kam einen Schritt weiter auf mich zu, hatte die Grenze des halben Meters längst druchbrochen und stellte sich neben mich, hob seinen Kopf und stieß einen so ergreifenden Schrei in die Nacht hinein, dass er mein Herz auf der Stelle hätte zerreißen können. Sein Anblick schnürte mir den Hals zu, auf seiner regendurchtränkten Haut sah ich tiefe Wunden und Narben, eines seiner Ohren war zerrissen und in seinen Augen spiegelte  sich der Abgrund der Welt. Welch einen Weg musste er gegangen sein?

In unseren Kreisen zeigte man seine Wunden nicht, das bedeutet Gefahr. Schwäche musste verborgen bleiben. Doch er offenbarte sich mir ohne Scheu. Dies war das Zeichen, welches ich sofort verstand und ich drehte ihm den Rücken zu, ließ ihn meine Wunden und Narben sehen und dann hörte ich es mit allen Fasern meines Seins, jede Haarspitze meines Pelzes schien zu vibrieren. Sein grollendes Schnurren brach sich den Weg durch die Finsternis und erwärmte den Raum zwischen uns. Nun antwortete ich ihm und der Raum erwärmte sich weiter.
Doch die offenen Wunden schmerzten und wir waren uns der Gefahr bewusst. Die Zeit schien zu zittern und der Drang auszuholen um weitere Wunden zu schlagen stieg allmählich aus den Tiefen alten Erlebens. Ein Kampf hätte uns getötet, doch was kannten wir schon anderes? So zog ich mich langsam zurück. Sein heilendes Schnurren verklang einsam im Raum und ich schwieg, ließ ihn stehen, mitten auf der Straße, auf die er kein Recht hatte und trabte erschöpft in eine Seitengasse.
Hinter einer Mülltonne ließ ich mich nieder auf einem Stück trockenen Asphalt und sah hinüber auf den Platz, auf dem er gestanden hatte.
Die Straße war leer. Eines Tages würde er wieder kommen, vielleicht, wenn wir es überlebten. Meine Augen brannten und ich gab dem lautlosen Weinen nach. Was haben sie aus uns gemacht?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Fliehen

  Es reißt das Leben Lücken In dein Auffangnetz Unbarmherzig Unvermutet Ohne Vorbereitung Es will halten, es will schützen ...