Werde ich mich jemals ändern können?
diese Frage habe ich mir noch nie gestellt, da ich
seit meiner Kindheit die permanente Erfahrung mache, mich zu verändern. Aus dem
Leben zu lernen, geistig zu wachsen, neue Fähigkeiten zu entwickeln und zu nutzen, war schon mit vierzehn Jahren meine ganz bewusste
Entscheidung – es war und ist seither "mein Wille" und Lernen geht nur über die
Bereitschaft zur Veränderung.
„Er wird sich nie ändern“ war die felsenfeste Überzeugung
meiner Mutter über den Mann an meiner Seite. Das ist viele Jahre her und dieser
Mann hat sich gewaltig verändert.
Meine Mutter glaubt fest daran, der Mensch könne sich nicht
ändern, der „Charakter“ steht von Anfang an fest. Bei derlei Aussagen empfinde
ich ein starkes körperliches Gefühl, als würde sich mir die Haut von innen vom
Fleisch lösen – dies ist das stärkste Gefühl von Ablehnung, welches ich zu
empfinden fähig bin. Denn dieser Glaube hat fatale Folgen, er raubt uns die
Möglichkeit Veränderungen einzuleiten oder zuzulassen, selbst für den anderen
dem wir unsere Unveränderlichkeit anhängen.
Ich schreibe seit vierzig Jahren Tagebuch. In diesen Büchern
finde ich den Beweis dafür, wie sehr ich mich, mein Verhalten und auch das
Erleben der Welt und meines Umfeldes, mein Selbstbild und meine Identität
verändert habe. Manches veränderte sich innerhalb von Wochen, anderes wieder
brauchte zwanzig Jahre, doch wer oder was leitete die Veränderung ein? Und gibt
es Dinge, die immer gleich geblieben sind, all die Jahre? Nichts ist geblieben
wie es war, das weiß ich mit Sicherheit. Geblieben ist die Tatsache, dass ich
einer permanenten Veränderung unterworfen war – „unterworfen“ dieses Wort
benutze ich gezielt. Denn ohne die innere Bereitschaft diesen
Veränderungsprozess anzunehmen, an dem auch die Umwelt beteiligt ist, würde er
viel langsamer laufen und fast unbemerkt bleiben. Genau so unbemerkt, wie der
Zeiger einer Uhr sich auf dem Ziffernblatt nach vorne bewegt.
Hier wären wir dann bei dem Willen des Menschen angelangt.
Reicht der Wille, etwas anders zu tun als bisher oder braucht es auch die tiefe
innere Bereitschaft den dafür notwendigen Veränderungsprozess anzunehmen?
Wenn sich ein Raucher dazu entscheidet, das Rauchen
aufzugeben, ist ihm dabei oft nicht bewusst, was diese Entscheidung nach sich
zieht. Viele Gewohnheiten die wir Tag für Tag unser Eigen nennen, die auch
einen Nutzen für uns darstellten, fallen nun weg, und welchen Ersatz haben wir
dafür, womit beruhigen wir uns jetzt, wenn wir nervös sind, was tun wir, wenn wir uns mit Freunden an den Tisch setzen, unsere wohlverdiente Pause machen wollen?
Ich war
überzeugte leidenschaftliche Raucherin, das war ein großes Stück meiner
Identität und darüber habe ich mich mit Gleichgesinnten verbunden gefühlt. All
das fiel von einem Tag auf den anderen weg und ich hatte nicht für Ersatz
gesorgt. Die Gefahr, diesen Veränderungsprozess abzubrechen, zu blockieren,
also rückfällig zu werden war enorm. Doch in mir gab es zum Rauchen eine
„Gegenbewegung“, ich wollte nicht mehr rauchen, mein Körper rebellierte mit
winzigen Signalen, ich entwickelte allmählich eine Ablehnung gegen Nicotin. Später kam
noch eine Allergie hinzu, die mir das Rauchen völlig unmöglich machte.
Heute bin ich Nichtraucherin und ich weiß nur all zu gut,
wie sehr sich allein dadurch meine Identität verändert hat. Danach habe ich
intensiv Sport getrieben, auch dies veränderte mein körperliches Empfinden und
somit natürlich auch die Selbstwahrnehmung. Eine Ernährungsumstellung brachte
weitere Veränderung.
Doch um Veränderungen einzuleiten, um überhaupt eine
Notwendigkeit zu einer Änderung zu erkennen braucht es die Fähigkeit einer
bewussten Wahrnehmung seiner selbst und seiner Lebensumstände.
Diskussionsstoff bietet scheinbar immer wieder der Begriff
„freier Wille“. Gibt es ihn oder nicht und in wie weit sind wir noch
eigenverantwortlich handlungsfähig, wenn es ihn nicht gibt. Und gibt es
ihn nicht, wer entscheidet dann für uns? Auch der Gebrauch des Willens ist
meiner Erfahrung nach eine Sache des Bewusstseins. Viele Entscheidungen treffen
wir unbewusst, was nicht heißt, dass dies immer so bleiben muss. Wir haben die
Möglichkeit, uns Dinge bewusst zu machen, das braucht Zeit, wir sollten sie uns
nehmen und wir sollten sie uns auch lassen, Zeit um bewusster zu werden, Tag
für Tag ein Stück mehr, dann könnten wir uns auch bewusst darüber werden, wer
in uns etwas will, oder nicht will.
Es könnte uns auch bewusst werden, was uns so vehement an
Verhaltensweisen festhalten lässt, die uns oder anderen offensichtlich Schaden
zufügen und dies den Eindruck vermittelt, wir würden uns nie ändern. Kann es
sein, dass Gewohnheiten zu Süchten geworden sind? Sucht braucht tatsächlich
einen starken Willen, um sich ihr zu widersetzen, oder Hilfe von außen. Die
Versprechen eines echten Alkoholikers taugen nichts und er weiß es. Die Sucht
zwingt uns, eine Scheinwelt zu errichten, die unsere Sucht rechtfertigt und uns
ermöglicht, sie aufrecht zu erhalten.
Unser Verhalten, das wir an den Tag legen, ist uns in
irgendeiner Form nützlich, sonst würden wir es lassen und diesen Nutzen gilt es zu entlarven. Ich gehe so
weit, sogar den Nutzen einer körperlichen Einschränkung zu hinterfragen, den Nutzen meiner
Angst, meiner Zweifel, all meiner „negativen“ Eigenschaften. Und ich finde ihn!
Wenn irgendein Leid dazu taugt, mich aus dem Verkehr einer Situation zu ziehen,
weiß ich, dass ich mit dieser Situation nicht fertig werde und einen Fluchtweg
suche. Oder mein Verhalten verschafft mir einen Vorteil, den ich sonst nicht bekomme. Erst, wenn ich dies begriffen habe und die Bereitschaft entwickle an der
problematischen Situation etwas zu verändern und dann auch die Fähigkeiten dazu
entwickle, anders damit umzugehen, dann erst kann ich mein Ausweichmanöver
beenden und dann wird sich meine Situation verändern und somit auch meine
Persönlichkeit, denn ich habe neue Fähigkeiten dazugelernt, habe Erfahrungen
mit deren Anwendung gemacht und habe damit mein Selbstbild und mein Empfinden
meiner Selbst und meines Umfeldes verändert. Und damit habe ich mich und mein
Verhalten verändert.
Manchmal geht es schnell und man erkennt es, ein anderes Mal
kann es Jahre dauern, bis wir zur Einsicht bereit sind. Der Einsicht folgt ein
Verstehen und nach dem Verstehen sollte sich der Wille in Gang setzen, tut er
es nicht, haben wir es noch nicht verstanden und der Nutzen von schädlichem
Verhalten ist immer noch größer als der Gewinn einer Veränderung.
Welche Verhaltensweisen wir in unserem Werkzeugkasten parat
haben, welche in der hinteren Ecke und welche ganz vorn im Regal liegen, hängt
natürlich von unseren Erfahrungen, Gewohnheiten und Glaubensmustern ab, und die Prägung der
ersten Kinderjahre werden wir sicher kaum los. Dennoch, was wir davon nutzen,
was nicht, und was wir bereit sind neu dazu zu lernen, das obliegt unserer Entscheidung – wie gesagt, was wir brauchen ist ein hellwaches
Bewusstsein.
Und doch... eines ist mein Leben lang gleich geblieben, der Wille zur Veränderung.