Es war ein erhebendes Gefühl einen Turm aus Bauklötzen oder
später aus Legosteinen zu bauen, alle Konzentration in den Aufbau und die
Struktur zu lenken, kaum einen Gedanken zu denken und nur Stein auf Stein zu
setzen und sich an dem höher und höher werden zu erfreuen. Und dann war es so
weit, es kam der magische Augenblick in dem die Hand ausholte und dem Turm im
unteren Drittel einen Hieb versetzte und man dieser geheimnisvollen
Vergänglichkeit beiwohnen durfte. Der Anblick des zusammenbrechenden Gebildes,
verlieh ein Gefühl von Macht, Macht über das eigene Handeln. Was ich erschaffen
habe, darf ich auch wieder zerstören.
Ich weinte dem Bauwerk keine Träne nach,
denn es hatte keinen Sinn, wenn es so stehen blieb. Der Bau war der Zweck und
diesen hatte ich erfüllt und nun brauchte ich Raum für Neues. So dachte ich und erfreute mich am Turmfall.
Doch die Freude währte nicht lange. Entsetzt sah man mir über die Schulter und
beschimpfte mich ob dieser Tat. „Warum machst du jetzt alles wieder kaputt?“
tönte die entsetzte Frage über meinen Kinderkopf hinweg. „Der schöne Turm!“ Ich
sah in die vorwurfsvollen Gesichter der Erwachsenen und schämte mich in dem
Gefühl, etwas Verwerfliches getan zu haben. Das Turm bauen verlor seinen Sinn
und ich stellte es allmählich ein.
Viele Jahre später, als meine bis zuletzt unterdrückte
Pubertät gewaltsam ihren Weg nach draußen bahnte, fühlte ich Ähnliches wie beim
kindlichen Turmbau. Ich baute und strukturierte Tagesabläufe, Vorhaben, Ideen
aber auch Beziehungen zu anderen. Besonders empfindlich waren jene
Verbindungen, die ich zu meinen erwachsenen Bezugspersonen pflegte. Ich empfand
diese Verbindungen oft als „schadhaft“ und wieder ertappte ich mich dabei, wie
ich, diesmal verbal, zum Schlag ausholte um Unbrauchbares von Brauchbarem zu
trennen, Gesundes von Krankem. Und wieder starrte man mir entsetzt ins Gesicht.
„Du machst alles kaputt!“ hieß es wieder mit bitterer Enttäuschung im Tonfall.
Sätze wie „wenn du dies, oder jenes tust, wird alles kaputt gehen, was uns
verbindet!“ Drohungen, vor denen ich einen Heidenrespekt hatte und allmählich
den Glauben an sie in mir felsenfest verankerte. Bis heute.
„Ich will nichts kaputt machen“… lieber halte ich mich
zurück, als etwas unwiederbringlich zu zerstören. Ich hatte nur zwei bewegliche
Varianten, Aufbau und Zerstörung. Wenn beides nicht funktionierte, gab es eine
dritte Variante, die war jedoch nicht beweglich, sie hieß Stagnation, alles
möglichst so halten wie es ist. Nichts verändern, nichts aus dem Gleichgewicht
bringen, denn dies befördert die Wahrheit ans Tageslicht über mein wirkliches
Empfinden und dies würde wieder die Konsequenz der Zerstörung einfordern.
So habe ich es über drei Jahrzehnte praktiziert. Das war
sehr anstrengend. Irgendwann glaubte ich, es gäbe gar keine anderen Varianten
auf dieser Welt, als die meinigen. Dann kam eine Phase, in der ich glaubte,
unter meiner Stagnation zu ersticken. Die Situation wurde lebensbedrohlich und
ich sah mich gezwungen zu handeln. Ich brach aus der gewohnten sicheren
Umgebung aus. Wieder holte ich aus, setzte zum Schlag an und zerstörte,
gleichzeitig baute ich Neues auf. Lange haderte ich mit den Scherben, die ich
zurückgelassen hatte und mich drückte das Gewissen. Die Frage, ob es nicht auch
hätte anders gehen können quälte mich lange.
Mein Bestes wollte ich jetzt
geben, aller Welt zeigen, dass ich es kann und ich begann wieder Türme zu
bauen, schöne Türme und dies tat ich mit einer solchen Vehemenz, dass ich nicht
wahr zu nehmen vermochte, wie lückenhaft meine Bauten waren, welche Beweggründe hinter meinen Aktionen standen, dass auch andere
an ihnen mitgearbeitet hatten, ohne dass ich steuernd darauf eingewirkt hätte.
Und wieder unterschied ich Gesundes von Krankem und diesmal verharrte ich nicht
unbeweglich in meiner Lage, aus Angst vor Zerstörung, Verletzung. Weit holte
ich aus und kappte den Turm im unteren drittel. Ich sah, wie er fiel in alle
seine Einzelteile zerbrach. Die Freude darüber blieb aus, denn schmerzlich
rissen auch wohlgemeinte Verbindungen, schmerzlich zeigten Illusionen ihr
wahres Gesicht. Doch gleichzeitig fühlte ich bereits die Wunden heilen und eine
neues Gefühl von Freiraum entstehen.
Nichts bleibt wie es ist – scheinbar ein Gesetz des
Universums, dem ich mich beugen will, denn so sehr eine Trennung auch
schmerzt, sie schafft den Boden für Neues. Der Mann mit der Sense geht um und
zieht den Pflug hinter sich her. Das
Leben wird zum Ackerland, zerfurcht und aufgewühlt, bereit, Neues wachsen zu
lassen. Ein ganz natürlicher Vorgang… das kleine Kind hatte es gewusst.
Zurück bleibt die Frage, ob es immer der Sensenmann mit dem Pflug
sein muss oder ob es nicht eine friedlichere Kultivierung meines Lebensbodens
gäbe – einfach weniger exzessiv?