Freitag, 27. März 2015

Zerrissen - zwischen den Teilen


 
Ein Flugzeug mit über hundert Menschen an Bord zerschellt an einer Felswand, übrig bleiben tausende von Einzelteilen – Blech – Stoff – Fleisch… zerstreut zwischen Steinen. Unvorstellbar und alles, weil ein junger Mensch dies scheinbar so für sich entschieden hat, für sich und alle anderen die er angeblich mit sich in den Tod riss.

Wir, der Rest der Welt stehen mehr oder weniger fassungslos vor diesem Ereignis. Diesmal trifft es uns härter, warum? Weil wir eine direktere Verbindung dazu spüren, Barcelona – Düsseldorf, für uns so nah, erinnert uns an Eigenes, hätten auch wir sein können. Man ertappt sich beim Bewerten dessen, was geschehen ist, wie viele Deutsche, Kinder, Jugendliche? Ein Versuch zu sortieren, Ordnung ins Chaos zu bringen.  Menschen, aus unserer Mitte, ihnen fühlen wir uns näher, deren tragisches Schicksal reibt stärker an unserer Empfindungsfähigkeit, als wäre irgendwo weit weg eine uns fremde Airline ins Meer gestürzt. Dann hadern wir mit unserem Wertesystem, das schlechte Gewissen überlagert die Betroffenheit und am Ende klagen wir auch noch Menschen an, deren öffentliche Betroffenheitsbekundungen wir in Zweifel ziehen,  weil sie aufdoktierten Normen zu entsprechen versucht, nur um gerade jetzt nichts falsches zu sagen.
Und all das, weil wir nicht wirklich wissen mit unseren eigenen Gefühlen umzugehen.
Ob Prominente oder Personen im nicht öffentlichen Leben, wir sind alle nur Menschen, am Rande des Verstandes angekommen, angesichts solcher Ereignisse. 

Auch ich stehe in solchen Momenten wie alle anderen am Rande des Verstehens, an diesem Abgrund, der uns die eigene Endlichkeit und die Macht eines einzigen kurzen Augenblicks vor Augen hält und bin in meiner Meinungsbildung, wie all die anderen, angewiesen auf Medienberichte, welcher Art auch immer. 

Das Leid der Angehörigen spiegelt die eigene Angst wieder, eines Tages ähnliches erleben zu müssen und wir werden es alle in irgendeiner Form früher oder später, denn Tod und Vergänglichkeit lassen sich in unserem oberflächlich schillernden Alltag nicht auf ewig verbannen. 

Nun scheint bezüglich dieses Flugzeugunglücks klar zu sein, dass ein junger Copilot die Entscheidung getroffen hat, seinem Leben ein Ende zu setzen auf eine so spektakuläre Art, dass die ganze Welt davon erfahren muss. War es das, was er wollte? Wie groß muss dann die Bedeutungslosigkeit gewesen sein, die diesem Ereignis gegenüberstand und es förmlich herbei gezwungen hat. Reine Spekulation – vielleicht wird man ja doch noch einen politischen Hintergrund ermitteln.
Dennoch, ich erinnere mich unweigerlich an die Momente, in denen ich selbst in ein Flugzeug gestiegen bin, mit diesem flauen Gefühl im Magen, mich einer Maschine und einigen Menschen anzuvertrauen, ja mein Leben für ein paar Stunden in deren Hände zu legen, ohne zu wissen, wer sie sind, sie nicht  einmal gesehen zu haben. Wir tun das oft mit einer unreflektierten Selbstverständlichkeit, die mich gerade ein wenig erschreckt.
All das können wir nur tun, in dem wir Eventualitäten ausblenden – ohne diesen Mechanismus würde unser ganzes System nicht funktionieren, denn würden wir nicht ausblenden, würden wir so manches nicht tun können.

Tagtäglich fahre ich mit meinem Auto auf der Straße, vertraue meinem gesundheitlichen Zustand, dass er stabil bleibt, vertraue aber ebenso auf den körperlichen und geistigen Zustand meiner Mitmenschen, die mir mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 100 km pro Stunde entgegenrauschen, so knapp an mir vorüber, dass gerade mal ein Stuhl zwischen uns Platz fände. Eine falsche Bewegung und wir wären im schlimmsten Falle beide tot. Und das ist nur der Normalzustand, von all den anderen, die keinem Stuhl zwischen uns Platz lassen spreche ich erst gar nicht. Ich wundere mich immer wieder, dass nicht viel mehr Unglücke geschehen, dass Angesichts unseres sozial und emotional desolaten Zustandes auf dieser Welt nicht weitaus mehr Menschen durchdrehen. Scheinbar hängt jeder noch ausreichend an seinem Leben. Aber wie lange noch? Burnout – Blackout – Drogenkonsum – Fanatismus, oder einfach nur gieriges Gewinnstreben, alles Unglücksherde, die verheerendes anrichten können und wir nähren fleißig weiter deren Boden. 
Ich ertappe mich selbst, wie ich im Rad des Geschehens immer schneller mitlaufe – um mithalten zu können, womit eigentlich? Ich spüre deutlich, wie leer es sich anfühlt und trotzdem renne ich noch weiter. Vielleicht weil es natürlich ist. Ich vergleiche es mit dem Sport, wenn ich laufe, kommt der Zeitpunkt, an dem ich weiß, dass die Kraft ausgeht und ich allmählich auslaufen muss. Vollbremsungen sind nicht immer sinnvoll. Auslaufen, mit dem Bewusstsein, dass sich der Zustand in dem ich mich befinde ändern wird und gezielt die Veränderung einlenke. 

Und was hat all das mit dem Flugzeug an der Felswand zu tun? Ich versuche Zerrissenes wieder zusammenzufügen. Dieser Copilot hat scheinbar nicht nur sich, das Flugzeug und seinen kompletten Inhalt innerhalb von Sekunden zerrissen, sondern auch so manches Bild in unseren Köpfen, Bilder von Sicherheit und Vertrauen und anstatt dessen uns das grausame Bild der Endlichkeit menschlicher Existenz wieder vor Augen gesetzt aber auch die Folgen und Auswirkungen eines schleichenden und scheinbar nicht erkannten  psychischen Zusammenbruchs einer Einzelperson. Vor diesem geistigen Auge packe ich den jungen Mann an den Schultern und schüttle ihn in der Hoffnung auf eine Antwort. Doch das einzige was mein Auge erblickt ist ein Gesicht, gezeichnet durch diese Zerrissenheit zwischen abgrundtiefer Bedeutungslosigkeit und der Sehnsucht wahrgenommen zu werden. Das Wort Schuld scheint mir an dieser Stelle deplaziert. Ich sehe nur die Folgen menschlicher Einsamkeit und die Handlung eines jungen Mannes, eingepfercht in einen finsteren Tunnel, der nur einen Ausweg hat. Ob all das überhaupt der Wahrheit entspricht, wissen wir nicht, und ob es politische Hintergründe hat, oder private, wo ist da der Unterschied? Das einzige, was stehen bleibt in meinem inneren Bild ist ein wachsendes Bewusstsein für Verantwortung – die Verantwortung dafür, meinem Nächsten das Gefühl von Bedeutungslosigkeit zu nehmen. Und warum sollte ich es tun? Ganz einfach… weil ich weiß, dass ich es kann.

So mancher mag sich nun fragen, warum erwähnt sie die Angehörigen nicht.... weil ich jetzt gerade im Empfinden unter ihnen stehe und ihre Blickrichtung versuche zu teilen - in der Hoffnung erträgliche Antworten zu finden - desshalb. 


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Fliehen

  Es reißt das Leben Lücken In dein Auffangnetz Unbarmherzig Unvermutet Ohne Vorbereitung Es will halten, es will schützen ...