Vom stillen Berg und dem sprechenden See

Es war am Ende eines Gebirgszuges, etwas abseits, da stand ein Berg, zerklüftet aber von kraftvoller Schönheit. Sein filigraner Grat trennte täglich die Nacht vom Tag, und schenkte Sonne und Mond Auf -und Untergang.

Der Berg unterschied sich in seiner Form und Farbgebung von all den anderen Bergen, die wie zu einer Kette zusammengewachsen schienen. Er stand in seiner Art allein aber nicht einsam, denn das Leben in ihm war reichhaltig.

In einer warmen Sommernacht strichen die Wolken über seinen Kamm, benetzten sein kahles Haupt mit Feuchtigkeit und versteckten all seine Schönheit und Würde im Nebel. Im Tal zu seinem Fuße gurgelte der Bach sein gewohntes Einerlei und der Berg hörte schon lange nicht mehr zu. Er schwieg, lauschte in seine Tiefen in deren Höhlen die Fledermäuse sich trafen. Doch in dieser Nacht weckte ein Grollen ihn aus seinem Traum. Ein kräftiger Sturm jagte die Wolken um seinen Gipfel, sie bäumten sich auf um über seine steilen Flanken hinabzustürzen. Die Wasser fielen vom Himmel ins Tal und sammelten sich zu einem reißenden Fluss. In der Heimlichkeit der Finsternis riss der Fluss alles in seinen Schlund, um es in weiter Ferne irgendwo ins Meer zu spucken. Sogar den sonst so stillen Berg erschütterte diese Macht des Wassers und er schloss seine Höhlen mit Geröll.

Am nächsten Morgen als die Sonne über dem Grat auftauchte, war die Welt eine Andere. Am Fuße des Berges, wo sonst in einem grünen Tal die Bäume wuchsen, lag nun aufgewühlt ein schwarzer See. Missmutig blickte der Berg hinunter auf das Wasser, dessen Oberfläche sich im Wind kräuselte. „Was willst du hier?“ Brummte der Berg in die Tiefen. Der See rührte sich und sein Wasser erzitterte bis auf den Grund hinab. Doch bevor der See ein Wort zustande brachte, schloss der Berg seine Augen und ging wieder in sich. Lange noch sah der See auf den Berg, doch dessen Augen blieben geschlossen und er sprach nicht mehr.

Es dauerte eine lange Zeit, bis der See seine Finsternis verlor und Sand und Schlamm sich am Boden setzte. Tiere aller Art versammelten sich am Ufer des Sees, Bäume wuchsen in den Himmel und gaben den lebhaften Dohlen einen Schlafplatz. Es waren geschwätzige Vögel und der Berg war froh, endlich oben am Gipfel seine Ruhe zu haben. Die Stille unter den Wolken, die Nähe zum Himmel und das kühle dunkle Reich in seinem Inneren, das war seine Welt. Dort war er Berg, sonst nichts.

Immer wieder wanderten die Augen des Sees die Felswände hinauf, niemals würde sein Wasser diesen Gipfel erklimmen können und so suchte der See nach einem Weg in das Innere des Berges. Er schickte seine Wasser zwischen Felsspalten, grub die Erde auf, doch immer wieder ließ der Berg sein Geröll fallen und schnitt dem Wasser den Weg ab. Der See konnte jedoch die Augen des Berges nicht vergessen, sein Blick war so tief, so klar, wie sein eigenes Wasser einst war, noch lange bevor die große Flut ihn hierherbrachte und diese Finsternis hinterließ.

Die Vögel schnatterten bei Tage und erzählten sich allerlei, während sie am Ufer saßen. Da sprach der See zu den Tieren und fragte nach dem Berg. „Sagt, warum ist er so still, was ist es, das ihn von euch zu trennen scheint?“ Was der See nun hörte, lies ihn stille werden und keiner sah die Tränen im Boden versickern. Es läge in der eigenen Verantwortung des Berges, dass er so abseitsstand, er sei ein wahrer Sonderling, sagten sie, selbst die Dohlen wollten nicht bleiben, denn diese liebten das Echo, wenn sie die Gipfel laut schreiend umkreisten. Dieser Berg jedoch war still geblieben, gab kein Echo und die Vögel verloren mit der Zeit ihren Spaß. Ach, was sie nicht alles erzählten über den Berg und der See fühlte die Schwere in seinem Gemüt.

Eines Nachts, leuchteten die Sterne größer und heller vom Himmel als sonst. Der See sprach mit den Fledermäusen, mit den Eulen und den anderen Nachttieren. Er konnte so viele Sprachen sprechen, wie es Tiere auf der Welt gab. Und so redete der See einmal leise, einmal laut, mal komisch, mal ernst, einmal ließ er seine Oberfläche sprechen und ein anderes Mal wieder seine Tiefen. Doch jedes mal, wenn der See zu sprechen begann, wurden alle, die um ihn standen, still. Sie wussten um die Macht des Wassers, geriet es einmal in Aufruhr war es in der Lage einen ganzen Berg zu untergraben.

Hin und wieder wenn sich der Berg unbeobachtet fühlte, warf er einen Blick auf den See, wie er sprach mit den Tieren und er sah, wie sich die Dohlen immer wieder um sein Ufer versammelten. Sie haben ihre Arbeit getan, dachte der Berg bei sich. Die Geschichten der Dohlen türmten sich zu Mauern, die immer höher und schwerer wurden und den Weg vom See zum Berg vollends zu trennen schienen.

Doch in dieser Nacht hörte die Stille einen Stein ins Wasser fallen. Der See vibrierte und sah verwundert den kleinen Stein durch seine Oberfläche dringen und in seine Tiefen hinabsinken. Dort lag er nun, funkelnd und Mondlicht verstreuend im Sand. Doch woher kam dieser Stein? Der See suchte die Gegend ab, wagte einen Blick nach oben und sah, wie der Berg im letzten Moment seine Augen schloss. „Hast du diesen Stein in meine Tiefen geworfen?“ Fragte der See zögernd. Der Berg schwieg, doch ihm war, als legte sich eine warme Hand auf seine steinerne Haut.

Von dieser Zeit an lauschte der See in die Nacht, gewöhnte sich allmählich an das glucksende Geräusch, wenn der Stein durch die Oberfläche drang und Luft mit nach unten zog, um dann in leicht schaukelnden Bewegungen nach unten auf den Grund zu gleiten. Immer größer werdende Ringe zogen sich über die Oberfläche und spiegelten das silberne Licht des Mondes. Aufmerksam betrachtete der See die Art und Weise, wie die Steine fielen, wie sie sich legten und entdeckte leuchtende Muster darin.

Bei Tage erspähten die Dohlen die Steine auf dem Grund, lachten und verstanden deren Sinn nicht. Der See sprach über allerlei mit den Vögeln, kräuselte von nun an seine Oberfläche, so dass niemand mehr hinabsehen konnte. Über den Berg sprach der See nicht mehr. Nacht für Nacht fiel nun ein Stein ins Wasser, manchmal blieb die Nacht auch still und nichts geschah. Der See ertappte sich immer öfter, wie er tief berührt an den Wänden des Berges hinaufsah und sich wünschte, ganz dort oben auf seinem Gipfel zu sein. Doch dieser Wunsch würde sich wohl nie erfüllen.

Aber auch das war in Ordnung, denn Wasser kann jede Form annehmen und überall sein, dachte der See und ein Lächeln wanderte über seine Oberfläche.

In der nächsten Nacht sprach der See mit dem Mond und bat ihn um Hilfe. „Lass mich ganz still werden, so still, dass der Berg erwacht, so still, dass alle Zweifel von ihm weichen und er seine Höhlen öffnet. Einmal nur möchte ich in seine Tiefen schauen“.

Der Mond wurde nachdenklich und fragte den See, „warum willst du das tun? Und woher weißt du, dass der Berg das will?“

Da wurde der See immer stiller und versank in seinen Gedanken. „Ja, der Mond hat recht, woher weiß ich, dass der Berg das will?“ Dann fielen dem See die Steine ein, die Nacht für Nacht auf seinen Grund sanken und sein Innerstes erhellten. „Ich möchte dem Berg ein Geschenk machen, ein Geschenk, das die Kraft besitzt den Weg in seine tiefsten Höhlen zu finden.“ So dachte es der See und die Stille breitete sich immer weiter in ihm aus. Voller Sehnsucht blickte er hinauf in den schwarzen Himmel, der durchsäht war von hellen Sternen. Es tauchte ein weißer Vogel auf, der bei jedem seiner Flügelschläge sein wärmendes Licht durch die Nacht verströmte, und er sprach zum See, „wer mich will muss mich sein lassen, erst dort, wo du nichts mehr willst, wird der Boden entstehen auf dem ich tanzen kann“. Dieser Vogel war das liebevollste Geschöpf, das sein Wasser je geshen hat, und er begriff, was dies bedeutet, denn auch diese Sprache beherrschte der See, und er öffnete alle seine Hände und ließ alles los, was er je festzuhalten versuchte. In dem Augenblick durchdrang eine Ruhe sein Inneres, das Wasser wurde still, und die Oberfläche einem Spiegel gleich. Der Berg, der die Stille wahrgenommen hatte, schlug seine Augen auf und sah die glatte Oberfläche, er blickte in seine eigenen Augen, sah das erste Mal sein Angesicht und wurde sich seiner eigenen Schönheit gewahr. Erschüttert senkte er seinen Blick auf den See und dieser hatte Mühe, seine Stille zu halten.

Auf dem Grund seines Bodens fühlte der Berg eine Wärme, als hätte jemand sein Herz berührt. Und es wurde die Wärme mehr und mehr und begann sich einen Weg zu bahnen. Es bebte der Boden und Steine rollten hinab und fielen ins Wasser des Sees. Hoch oben am Grat öffnete sich der Fels und warf all das heiße Geröll aus seinem Schlund, welches über Ewigkeiten in den Tiefen verborgen war. Das Geröll fiel hinab und erhitzte das Gewässer. Nichts mehr wollen, dachte der See und bereitete den Boden zum Tanz. Sein Wasser zischte und wurde zu Dampf. Es formte sich eine Wolke in unbändiger Dichte und Kraft und stieg den Berg hinauf, legte sich über den Grat und kühlte das Haupt des Berges. Der Berg begann zu atmen sog die Wolke ein und gab sie wieder frei bis sich das Wasser erneut zu einem See verband, hoch oben unterhalb des Grates.

Als die Nacht vorbei war, standen die Dohlen auf einem Feld von Sand, betrachteten verwundert die kleinen Kristalle, wie sie angeordnet lagen und ein Muster ergaben, das keiner verstand.

Seit dieser Zeit ruht auf dem Gipfel des Berges ein stiller tiefer See, dessen Wasser duftende Flechten und Farne bis in die Täler wachsen lässt. Und im Schutze des Nebels tanzt ein weißer Vogel seinen Tanz.

 

 

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