Text aus dem Jahr 2009
Vor einigen Tagen entschied ich mich, auf Grund diffuser Unzufriedenheiten mit meinem Ich, nach einer Art Mentor zu suchen, und da
ich aus Erfahrung wusste, dass es mir auf dieser Welt sowieso niemand recht
machen wird, suchte ich diesen Mentor in
meinem Inneren. Ich hatte ja schon ein wenig Übung mit dem Hören nach innen.
Es dauerte nicht lange, da zeigten sich auf meine Fragen hin
Antworten in Form von spontan einfallenden Gedanken, die ich sofort nieder
schrieb.
Mein Mentor zeigte sich als logisch denkendes, erwachsen
anmutendes und geduldiges Wesen. Er nahm mich an, wie ich war, schien mich
schon einige Zeit zu kennen und stellte mir hin und wieder recht provokante
Fragen, war aber auch durchaus in der Lage, mir komplizierte Dinge ganz einfach
zu erklären.
Was mir besonders an ihm auffiel war, dass er mir sehr viel
Freiraum lies und mit einer endlos scheinenden Geduld irgendwo neben mir
herging.
Gleich, welche Frage ich stellte, eine Antwort lies nicht
lange auf sich warten. Allerdings, die richtigen Fragen zu stellen erfordert
ein gewisses Maß an Übersicht. Immer noch drehte sich alles um mein Ich und
mein Mentor drehte sich geduldig mit, bis ich ihn eindeutig bat, mir eine Art
„Erleuchtung“ teil werden zu lassen.
Einige Tage später fiel mir ein buddhistisches Lesewerk in
die Hände, das ich schon mehrfach durchgearbeitet hatte. Und wieder las ich es
mit Bewunderung einerseits und mit ablehnender Skepsis andererseits.
Es versuchte eindeutig mein Ich zu vernichten!
Die Worte „Mitgefühl“ und „Altruismus“ waren mir schon
vertraut, und ich hielt sie auch für wichtig, aber die Forderung, an nichts
mehr auf dieser Welt zu hängen, von allem loszulassen, danach zu streben, diese
Welt zu verlassen und bloß nicht wieder
geboren werden um endgültig dem Leid zu entkommen, in dem ich die Existenz
meines Ich einfach für nichtig erkläre, das ging mir zu weit, und hinterließ in
mir ein Frustgefühl. Ein Gott, der mich auffängt und in eine Art Himmel
begleitet war auch nicht in Sicht. Jetzt verlor ich endgültig den Boden unter
den Füßen und mein Leben fühlte sich schwammig an.
Es gab nichts mehr, an das ich wirklich glaubte und stellte
weiterhin den Sinn dessen, was ich dachte und tat in Frage. Unbewusst schien
ich dieses Ich längst anzuzweifeln. Was sich da so vehement wehrte war wohl
mein Ego, der Verteidiger des Ichs. Er argumentierte damit, ich könne mich doch
nicht zum Opfer meines Umfeldes machen, indem ich das Wohl des Anderen vor mein
eigenes stelle.
Bisher stand ich auf dem Standpunkt, zuerst kümmere ich mich
um mein eigenes Wohl, und dann um das eines anderen, denn wer profitiert von
mir, wenn ich nicht in Ordnung bin? Klingt erst einmal logisch.
Wahrscheinlich war es für den Entwicklungsstand auf dem ich
war auch angebracht, sonst wäre ich wohl nicht weiter gekommen. Doch je mehr
ich mein Ich verteidigte, desto schlimmer wurde alles, immer mehr Schutzmauern
waren nötig, um ungewollte Eindringlinge fernzuhalten. Der Schuss ging nach
hinten los und es kam der Tag, an dem
dieses Denken seinen Sinn verlor, das wurde mir immer bewusster.
Meinem Drängen nach „Erleuchtung“ wurde scheinbar
nachgegeben, als ich zufällig in einem der dritten Programme im Fernsehen einen
buddhistischen Mönch sprechen hörte. Die Sendereihe mit dem Namen „auf dem Pfad
der Erleuchtung“ brachte einige interessante Gespräche mit geistig weit
gereisten Menschen.
Nun konnte mir jemand endlich erklären, was es mit dieser
Erleuchtung auf sich hat.
Erleuchtung ist die Erkenntnis über die Illusion des Ichs.
Ja, da war es wieder, das Ich und seine bevorstehende Eliminierung durch
Einsicht. Durch diese Erklärung allein konnte ich jedoch zu dieser Einsicht
nicht gelangen.
Man sagt, durch Meditation könne man zu solchen inneren
Erlebnissen kommen. Dieser Mönch saß bis zu fünfzehn Stunden am Tag und
meditierte. „Du musst bereit sein, auf diesem Kissen zu sterben“ sagte er.
Allerdings fügte er auch hinzu, dass es sicher auch andere Wege zur Erleuchtung
gäbe, als ZaZen zu praktizieren. Das beruhigte mich unwahrscheinlich.
Ich war nie ein Freund vom „Still sitzen“. Es fällt mir wirklich schwer, aber es ist
möglich, wenn ich will, doch kommt nicht viel dabei heraus.
Bei mir entspringen die Ideen, Erkenntnisse und die
surrealsten Kreationen während der Bewegung. Ich lebe und bewege mich, handle
und beobachte, das ist meine Meditation, wobei ich keinesfalls ausschließen
will, dass die stille, sitzende Meditation andere, mir vielleicht unbekannte
Ergebnisse zeigt.
Ich begab mich also in eine meiner Meditationen, schnitt
einem Hund die Haare, und dachte über das Ich nach.
Da war aber nichts, über das ich hätte nachdenken können,
und beobachtete jeden meiner Handgriffe. Wer entscheidet in mir, was ich gerade
tue, wenn es kein Ich gibt? Wer beobachtet die Handgriffe, wer beurteilt das
Ergebnis? Da ist ein Bewusstsein, das alles wahrnimmt, wie eine Sammelstelle
von Eindrücken. Es scheint sich zu bewegen, zu reagieren auf ein Umfeld und auf
ein anderes Bewusstsein einzuwirken, so dass dieses wiederum reagiert und sich
bewegt. In diesem Falle war es das Bewusstsein des Hundes, welches ich ihm
jetzt unterstellen muss. Was reagiert da, was bewegt sich da, ich bekam es
nicht wirklich zu fassen. Ein substantielles Ich war schon gar nicht zu finden.
Ich spürte meine Hand, das Fell des Hundes und die metallene
Schere. Da sind nicht wirklich Grenzen. Die Bewegung des Hundes war auch meine
Bewegung, nahtlos gingen sie ineinander über.
Das Bewusstsein des Hundes schien mit meinem verbunden zu
sein. Inwieweit unterschieden sie sich wirklich voneinander?
Und da kam die Idee von einem übergeordneten
Gesamtbewusstsein.
Gedacht hatte ich diesen Gedanken schon öfter, aber die
Reichweite der Konsequenz dieses Gedankens war mir nicht klar geworden. Ich
hatte ihn nie zu Ende gedacht.
Ein Gesamtbewusstsein aller lebenden und empfindenden Wesen
würde ein persönliches Ich überflüssig werden lassen. Das persönliche Ich ist
ein Konstrukt psychologischen Denkens, eine Idee aus der Neuzeit, die
vielleicht ein überproportionales Ego hat entstehen lassen? Wenn die Idee vom
Ich so überdimensioniert groß ist, wundert es mich nicht, dass wir uns in dem
Wahn, wer sein und was haben zu müssen, voneinander abgrenzen, uns gegenseitig
zerstören und unsere Umwelt gleich mit dazu.
Wenn das das Resultat einer Vorstellung vom Ich ist, muss
daran etwas krank sein.
Angenommen, das Ich ist wirklich eine Illusion, und nichts
weiter als ein substanzloses Gedankenkonstrukt, was sollte ich dann schützen?
Wofür kämpfen? Was würde ich da opfern, wenn ich altruistisch wäre?
Ich stelle mir ein universelles Gesamtbewusstsein vor, das
sich scheinbar selbst erleben will, in dem es sich in unterschiedlichen
Lebensformen „äußert“. Äußern heißt für mich, sich von innen nach außen kehren,
und damit materielle Substanz annehmen um wirken zu können in einer
„Wirklichkeit“.
Nun muss ich noch etwas dazwischen fügen. Wenn ich ein Bild
male, und mich völlig darauf verlasse, intuitiv das Richtige zu tun, ohne es selbst
vorher zu planen, entstehen die besten Arbeiten. In einem solchen Fall sage
ich, nicht Ich male das Bild, sondern Es malt sich selbst.
Damit möchte ich verdeutlichen, dass sich hier dieses
Gesamtbewusstsein gezeigt haben könnte. Wenn dies der Fall ist, wäre es ebenso
möglich, dass alles, was ich tue, nicht ein Ich tut, sondern Es, also, dieses
Gesamtbewusstsein, eine Art höheres Selbst, was dann aber ebenso das höhere
Selbst eines anderen wäre.
Dieses universelle Bewusstsein zeigt sich in mir ebenso wie
in meinem Gegenüber und in allen anderen Lebewesen. Dies könnte den
wissenschaftlichen Nachweis darüber erklären, dass das Gehirn scheinbar schon
eine Entscheidung in Bruchteilen von Sekunden vor meiner bewussten Wahrnehmung
getroffen hat.
Was jedoch viel wichtiger erscheint, ist die Sache mit dem
Mitgefühl. Jetzt macht es wirklich Sinn ein anderes empfindendes Wesen in meine
Entscheidungen und Handlungen auf liebevolle Weise mit einzubeziehen, da ich ja
vom Befinden meines Gegenübers ebenso betroffen bin, wie von meinem eigenen.
Dies würde eine ganz neues Licht auf das Thema Liebe werfen.
Ich sehe dieses übergeordnete Bewusstsein als ein in sich
bewegtes, farbenfrohes, Raum und Zeit übergreifendes sich selbst erleben. Es
trägt scheinbar alles Wissen in sich und ist zu unbegrenzt intelligenten
Entscheidungen fähig. Jedes lebende Wesen ist ein Teil dieses Bewusstseins und
agiert als solches.
Wenn ich mit dieser Idee im Kopf einen anderen Menschen
dabei beobachte, wie er mit mir spricht, wir mit einander und untereinander
kommunizieren und interagieren, mit Worten, Blicken und Gestiken, jeder inneren
Regung, sehe ich ganz ohne einen Hauch von einem Anspruch an ein eigenständiges
unabhängiges Ich einen Tanz, eine Interaktion dieses Gesamtbewusstseins, und
empfinde Freude und Mitgefühl über das, was da zwischen uns geschieht.
Dies ist ein völlig anderes Erleben, als den ständigen
Gedanken zu haben, mich vor dem anderen
abgrenzen und schützen zu müssen, ihm und mir beweisen zu müssen, der stärkere
oder mindestens gleich stark zu sein. Das ist eine zerstörerische
Kriegsstrategie eines egoistischen Bewusstseins gegen sich selbst. Es ist
ähnlich, als würde das Immunsystem gegen den eigenen Körper vorgehen, was ja
durchaus als Erkrankung existiert und zur Zerstörung des ganzen Organismus
führen kann.
Nun gehe ich nicht davon aus, dass wenn wir einem
Gesamtbewusstsein untergeordnet sind, keine Eigenverantwortung tragen, ganz im
Gegenteil, mein Gedanke sagt, jeder ist für den Zustand des Gesamtbewusstseins
mitverantwortlich. Deshalb ist es so
wichtig, darauf zu achten, positive und liebevolle Dinge zu denken und zu tun,
fürsorglich mit allem umzugehen. Die Farben der Gedanken und Gefühle spiegeln
sich im Licht der Wirklichkeit wieder. Ich denke, dass wir so unser Schicksal
selbst erschaffen.
Auf dieser Welt ist es nicht möglich zu leben, ohne ein
lebendes Wesen zu töten und wenn es die kleinsten Einzeller sind. Vielleicht
ist das der Grund, weshalb die Buddhisten danach trachten, diese Art
Lebenszustand durch endgültige Erleuchtung zu verlassen, um diesem Leid ein
Ende zu bereiten und dem Gesamtbewusstsein damit eine lichtere Färbung und
liebevolleres Befinden zu ermöglichen. Wenn man sich selbst als Teil dieses
Bewusstseins betrachtet, dann ist dieses Bestreben nur all zu verständlich.
Es ist ein völlig anderes Lebensgefühl, mit dem Gedanken
durch die Welt zu gehen und anderen zu begegnen, dass wir alle Ein und das
Selbe Bewusstsein haben, dass ich im anderen mir selbst begegne und er sich in
mir begegnen kann, dass das Leben ein ständiges Reigen und Tanzen ist, in dem
sich ein grenzenloses Bewusstsein selbst erlebt und die Kommunikation wie ein
Lebenselixier alles in Bewegung hält. Ob dieses Bewusstsein sich gut oder
schlecht fühlt liegt ganz in unserem Ermessen.
Dabei ist es völlig gleich, wem gegenüber ich mich liebevoll
verhalte, ob einem Nahe stehenden oder einem Fremden, derjenige, der am meisten
Hass und Angst in sich trägt hat am meisten Liebe nötig. Und da ich davon
ausgehen kann, dass ein Ich keine Substanz hat, und nicht wirklich existent
ist, brauche ich mich darum auch nicht zu sorgen. Worum ich mich „Für-sorge“
ist unser Gesamtbewusstsein.
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