Montag, 29. September 2014

"Er wird sich nie ändern!"



Werde ich mich jemals ändern können?

diese Frage habe ich mir noch nie gestellt, da ich seit meiner Kindheit die permanente Erfahrung mache, mich zu verändern. Aus dem Leben zu lernen, geistig zu wachsen, neue Fähigkeiten zu entwickeln und zu nutzen, war schon mit vierzehn Jahren meine ganz bewusste Entscheidung – es war und ist seither "mein Wille" und Lernen geht nur über die Bereitschaft zur Veränderung.

„Er wird sich nie ändern“ war die felsenfeste Überzeugung meiner Mutter über den Mann an meiner Seite. Das ist viele Jahre her und dieser Mann hat sich gewaltig verändert.
Meine Mutter glaubt fest daran, der Mensch könne sich nicht ändern, der „Charakter“ steht von Anfang an fest. Bei derlei Aussagen empfinde ich ein starkes körperliches Gefühl, als würde sich mir die Haut von innen vom Fleisch lösen – dies ist das stärkste Gefühl von Ablehnung, welches ich zu empfinden fähig bin. Denn dieser Glaube hat fatale Folgen, er raubt uns die Möglichkeit Veränderungen einzuleiten oder zuzulassen, selbst für den anderen dem wir unsere Unveränderlichkeit anhängen.

Ich schreibe seit vierzig Jahren Tagebuch. In diesen Büchern finde ich den Beweis dafür, wie sehr ich mich, mein Verhalten und auch das Erleben der Welt und meines Umfeldes, mein Selbstbild und meine Identität verändert habe. Manches veränderte sich innerhalb von Wochen, anderes wieder brauchte zwanzig Jahre, doch wer oder was leitete die Veränderung ein? Und gibt es Dinge, die immer gleich geblieben sind, all die Jahre? Nichts ist geblieben wie es war, das weiß ich mit Sicherheit. Geblieben ist die Tatsache, dass ich einer permanenten Veränderung unterworfen war – „unterworfen“ dieses Wort benutze ich gezielt. Denn ohne die innere Bereitschaft diesen Veränderungsprozess anzunehmen, an dem auch die Umwelt beteiligt ist, würde er viel langsamer laufen und fast unbemerkt bleiben. Genau so unbemerkt, wie der Zeiger einer Uhr sich auf dem Ziffernblatt nach vorne bewegt.
Hier wären wir dann bei dem Willen des Menschen angelangt. Reicht der Wille, etwas anders zu tun als bisher oder braucht es auch die tiefe innere Bereitschaft den dafür notwendigen Veränderungsprozess anzunehmen?

Wenn sich ein Raucher dazu entscheidet, das Rauchen aufzugeben, ist ihm dabei oft nicht bewusst, was diese Entscheidung nach sich zieht. Viele Gewohnheiten die wir Tag für Tag unser Eigen nennen, die auch einen Nutzen für uns darstellten, fallen nun weg, und welchen Ersatz haben wir dafür, womit beruhigen wir uns jetzt, wenn wir nervös sind, was tun wir, wenn wir uns mit Freunden an den Tisch setzen, unsere wohlverdiente Pause machen wollen? 

Ich war überzeugte leidenschaftliche Raucherin, das war ein großes Stück meiner Identität und darüber habe ich mich mit Gleichgesinnten verbunden gefühlt. All das fiel von einem Tag auf den anderen weg und ich hatte nicht für Ersatz gesorgt. Die Gefahr, diesen Veränderungsprozess abzubrechen, zu blockieren, also rückfällig zu werden war enorm. Doch in mir gab es zum Rauchen eine „Gegenbewegung“, ich wollte nicht mehr rauchen, mein Körper rebellierte mit winzigen Signalen, ich entwickelte allmählich eine Ablehnung gegen Nicotin. Später kam noch eine Allergie hinzu, die mir das Rauchen völlig unmöglich machte.
Heute bin ich Nichtraucherin und ich weiß nur all zu gut, wie sehr sich allein dadurch meine Identität verändert hat. Danach habe ich intensiv Sport getrieben, auch dies veränderte mein körperliches Empfinden und somit natürlich auch die Selbstwahrnehmung. Eine Ernährungsumstellung brachte weitere Veränderung.
Doch um Veränderungen einzuleiten, um überhaupt eine Notwendigkeit zu einer Änderung zu erkennen braucht es die Fähigkeit einer bewussten Wahrnehmung seiner selbst und seiner Lebensumstände.

Diskussionsstoff bietet scheinbar immer wieder der Begriff „freier Wille“. Gibt es ihn oder nicht und in wie weit sind wir noch eigenverantwortlich handlungsfähig, wenn es ihn nicht gibt. Und gibt es ihn nicht, wer entscheidet dann für uns? Auch der Gebrauch des Willens ist meiner Erfahrung nach eine Sache des Bewusstseins. Viele Entscheidungen treffen wir unbewusst, was nicht heißt, dass dies immer so bleiben muss. Wir haben die Möglichkeit, uns Dinge bewusst zu machen, das braucht Zeit, wir sollten sie uns nehmen und wir sollten sie uns auch lassen, Zeit um bewusster zu werden, Tag für Tag ein Stück mehr, dann könnten wir uns auch bewusst darüber werden, wer in uns etwas will, oder nicht will.
Es könnte uns auch bewusst werden, was uns so vehement an Verhaltensweisen festhalten lässt, die uns oder anderen offensichtlich Schaden zufügen und dies den Eindruck vermittelt, wir würden uns nie ändern. Kann es sein, dass Gewohnheiten zu Süchten geworden sind? Sucht braucht tatsächlich einen starken Willen, um sich ihr zu widersetzen, oder Hilfe von außen. Die Versprechen eines echten Alkoholikers taugen nichts und er weiß es. Die Sucht zwingt uns, eine Scheinwelt zu errichten, die unsere Sucht rechtfertigt und uns ermöglicht, sie aufrecht zu erhalten.

Unser Verhalten, das wir an den Tag legen, ist uns in irgendeiner Form nützlich, sonst würden wir es lassen und diesen Nutzen gilt es zu entlarven. Ich gehe so weit, sogar den Nutzen einer körperlichen Einschränkung zu hinterfragen, den Nutzen meiner Angst, meiner Zweifel, all meiner „negativen“ Eigenschaften. Und ich finde ihn! Wenn irgendein Leid dazu taugt, mich aus dem Verkehr einer Situation zu ziehen, weiß ich, dass ich mit dieser Situation nicht fertig werde und einen Fluchtweg suche. Oder mein Verhalten verschafft mir einen Vorteil, den ich sonst nicht bekomme. Erst, wenn ich dies begriffen habe und die Bereitschaft entwickle an der problematischen Situation etwas zu verändern und dann auch die Fähigkeiten dazu entwickle, anders damit umzugehen, dann erst kann ich mein Ausweichmanöver beenden und dann wird sich meine Situation verändern und somit auch meine Persönlichkeit, denn ich habe neue Fähigkeiten dazugelernt, habe Erfahrungen mit deren Anwendung gemacht und habe damit mein Selbstbild und mein Empfinden meiner Selbst und meines Umfeldes verändert. Und damit habe ich mich und mein Verhalten verändert.

Manchmal geht es schnell und man erkennt es, ein anderes Mal kann es Jahre dauern, bis wir zur Einsicht bereit sind. Der Einsicht folgt ein Verstehen und nach dem Verstehen sollte sich der Wille in Gang setzen, tut er es nicht, haben wir es noch nicht verstanden und der Nutzen von schädlichem Verhalten ist immer noch größer als der Gewinn einer Veränderung. 

Welche Verhaltensweisen wir in unserem Werkzeugkasten parat haben, welche in der hinteren Ecke und welche ganz vorn im Regal liegen, hängt natürlich von unseren Erfahrungen, Gewohnheiten und Glaubensmustern ab, und die Prägung der ersten Kinderjahre werden wir sicher kaum los. Dennoch, was wir davon nutzen, was nicht, und was wir bereit sind neu dazu zu lernen, das obliegt unserer Entscheidung – wie gesagt, was wir brauchen ist ein hellwaches Bewusstsein.

Und doch... eines ist mein Leben lang gleich geblieben, der Wille zur Veränderung.



1 Kommentar:

  1. Ich denke mal der Wille zur Veränderung liegt in unserer Kreativität. Ein kreativer Mensch sieht andere Ziele, geht anders an Veränderungen heran. Auch wenn es nicht unbedingt immer einfach ist. Manche Dinge an sich kann man ändern andere nicht, auf viles hat man auch keinen unmittelbaren Einfluss. Dummerweise ;-). Wie sagte mal einmal Walter Giller "Es bleibt schwierig!"
    PS: Ich mag deine Texte und Bilder.

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